Werktreuer Brecht? Man schütze den Mann vor seinen Erben!

Skurriler Rechtsstreit zwischen Suhrkamp-Verlag und Münchner Residenztheater: Frank Castorfs Inszenierung des „Baal“ soll abgesetzt werden.

Bei der Behandlung von geistigem Eigentum war der Dichter Bertolt Brecht (1898–1956) tatsächlich ein Kommunist. Er arbeitete an seinen dramatischen Werken aus Prinzip zumeist im Kollektiv, entwendete Ideen, wie es ihm gerade passte. Ganze Textpassagen anderer Genies wurden von ihm einverleibt. Diese poetische Laxheit gestand er stets freimütig ein. Marlowe, Gay, Rimbaud, Wedekind, Kipling und viele andere der Weltliteratur blühten bei Brecht noch einmal auf. Wahrscheinlich wären sie sogar stolz darauf gewesen.

Umso mehr verwundert es, dass der Suhrkamp-Verlag per einstweiliger Verfügung im Auftrag einer Erbin von Brecht die weitere Aufführung eines Frühwerks von ihm im Münchner Residenztheater gerichtlich verbieten lassen will. Dort hatte am 15.Jänner Frank Castorfs Inszenierung von „Baal“ Premiere – angeblich ist sie eine der besten des Berserkers von der Berliner Volksbühne seit einigen Jahren, doch das stand nicht zur Debatte.

Die Inhaber der Rechte klagten, dass es sich um eine nicht autorisierte Bearbeitung des Stückes handle. Sie forderten die Absetzung der Aufführung. Castorf verwende auch umfänglich Fremdtexte. Die Einheit des Werkes werde dadurch aufgelöst.

Martin Kušej, der Direktor des Resi, zeigte sich irritiert. Suhrkamp sei die Arbeitsweise Castorfs vertraut, der Verlag sei in die Vorbereitungen miteinbezogen gewesen. Auch der Regisseur beteuerte gegenüber der „Süddeutschen Zeitung“: „Die kennen mich doch und wissen, was da rauskommt.“

Sein Ergebnis: Er versetzte dieses zum Ende des Ersten Weltkriegs verfasste Stück (das sich u.a. übrigens an Balladen Villons anlehnt) nach Vietnam, in den Kalten Krieg samt Krieg. Man erlebt laut deutschem Feuilleton furios viel in viereinhalb Stunden – Bilder aus „Apocalypse Now“, Songs von Jimi Hendrix, verdammt gute Originaltexte von Frantz Fanon und Heiner Müller. Letztere werden übrigens auch bei Suhrkamp verlegt. Der Verlag mag also gestatten, dass hier erneut ein Zitat des wahren Erben des großen B.B. gestohlen wird: „Brecht gebrauchen, ohne ihn zu kritisieren, ist Verrat“, warnte Müller vor naivem Umgang mit seinem Vorbild. Gemeint war damit vielleicht, den anarchischen vom angepassten Brecht zu befreien. Was tun? Vor allem achte man jetzt scharf, dass Castorf alles dürfen darf.

Den „Baal“, den bösen asozialen, den er mit zwanzig schrieb und noch mehrfach umformte, mochte Brecht später übrigens gar nicht mehr. Als wäre er eine Jugendsünde. Werktreu war der Meister wirklich nicht.

E-Mails an: norbert.mayer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.02.2015)

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