Schwarze Schwäne und blaue Bären sind kaum zu beweisen

Wie wirklich sind politische Diskussionen im Fernsehen? Die Antwort ist so heikel wie jene auf die Frage, ob Schrödingers tote Katze noch lebt.

War es die stundenlange Live-Berichterstattung vom Ballhausplatz und aus dem österreichischen Parlament? War es der exzessive Konsum von Privatfernsehen, in dem sich Zombie-Märchen und unmäßig nicht-moderierte Rede-Duelle bizarr ergänzten? Jedenfalls ging am Freitag nach ein Uhr ein Aufschrei durch unsere Kultur-Sektion: Um Gottes Willen, bitte nichts Politisches auf den unbelasteten Seiten des Gegengifts! Selbst das sonst stets gegen alle anderen solidarische Gemeinwohl-Zentralkomitee und die ultraliberale Bewegung, die gegen jede Abweichung vom rechten Kurs mit blankem Säbel demonstriert, waren sich in diesem Punkte ausnahmsweise einig.

Auch ich habe unser Fairness-Abkommen vorbehaltlos unterzeichnet. Keine Wahlempfehlung am Samstag! Sie wäre in dieser Kolumne, wie jeder Apotheker mit Grundkenntnissen zur Wirkung von Antidot weiß, ohnehin kontraproduktiv. Um es volksnah (die beiden übrig gebliebenen Kandidaten sind in Heimatkunde firm) auszudrücken: Das könnte in die Hose gehen.

So viel Farbenspiel wollen wir aber vor diesem bedeutenden Dreifaltigkeitssonntag wirklich nicht zulassen. Stattdessen widmen wir uns mit interesselosem Wohlgefallen einem erkenntnistheoretischen Problem, das die Welt bewegt, seit die Menschen ihre heimeligen Höhlen der Eiszeit verlassen haben: Gibt es Blaubären?

„Ha!“, werden jetzt ältere Jung-GrammatikerInnen unter den LeserInnen sagen, „es ist schon wieder was passiert!! Er hat ,Blaubären‘ geschrieben und ,Blaubeeren‘ gemeint!!!“ Gemach. Wir wissen doch genau, es gibt Schwarzbären und Schwarzbeeren, es gibt Braunbären und (zumindest beim frommen englischen Dichter Geoffrey Chaucer) launige Mönche, die „as brown as a berry“ sind. Farben schillern so relativ wie die Pragmatik von Ideologen. Aber bei Blaubären geht es ausnahmsweise nicht um die Essenz, sondern nur um die Existenz.

Logisch, Empiristen werden nun, um dieses nicht-imaginäre Raubtier explizit zu falsifizieren und damit diskursiv abzuschießen, fragen, warum nicht, wie seit Juvenal üblich, von „Schwarzen Schwänen“ oder „Weißen Raben“ die Rede sei, mit deren Hilfe sich die Wissenschaftstheoretiker von den Verhaltensforschern abgrenzen.

Sie könnten zur Ablenkung von der anrüchigen Bärenfalle auch Schrödingers Katze ins Spiel bringen, von der man nicht weiß, ob sie mausetot und zugleich springlebendig ist, ob sie weiß wählt oder bloß wieder wechselt. Aber darum geht es hier nicht, sondern um die Serien-Problematik, wie wirklich die Wirklichkeit im eingangs nur gestreiften Reality-TV sei.

Zum Abschluss also eine einfache Geschichte, die mir neulich im Netz passiert ist, und sie ist tatsächlich wahr: Bei einem meiner geheimen Staatsbesuche im Südburgenland tanzte plötzlich direkt neben mir ein blauer Bär. Ehrlich. Ich habe zwar keine Farbfotos von diesem unerhörten Erlebnis, aber einen Zeugen. Mein Freund Moses Maria sagte mir: „Jö schau, Norbert, dem blauen Vieh haben sie Handgranaten auf die Tatzen gebunden!“ Jetzt könnte natürlich ein jeder kommen und sagen: Beweisen Sie, dass es Moses Maria gibt!“ Da erwidere ich nur: „Entweisen Sie mal!!“ Ich weiß ja nicht einmal, ob Sie dieses Gegengift über fremdartige Heimatkunde wirklich genau gelesen haben. Schauen Sie bitte noch einmal nach.

E-Mails an: norbert.mayer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.05.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.