Die Lüge trägt sich wie ein Mantel aus Blei

A shadow of former U.S. President Bill Clinton is seen while he speaks on behalf of his wife Democratic presidential candidate Hillary Clinton during a campaign event at the College of Southern Nevada in North Las Vegas, Nevada
A shadow of former U.S. President Bill Clinton is seen while he speaks on behalf of his wife Democratic presidential candidate Hillary Clinton during a campaign event at the College of Southern Nevada in North Las Vegas, Nevada(c) REUTERS (DAVID BECKER)
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Wahrhaftigkeit ist eine Pflicht. Selbst Tricks wie der mentale Vorbehalt können das nicht ändern.

Aus aktuellem Anlass entfallen diesmal im „Gegengift“ adventliche Betrachtungen zur ebenso schönen wie klugen Santa Barbara, die einst im heutigen Izmit oder Baalbek gelebt haben soll und bis zum Tod als Märtyrerin vor 1710 Jahren fest im christlichen Glauben blieb. Ja, Barbara war eine Frau, die in der Wahrheit lebte. Das kümmert uns heute aber nicht. Stattdessen widmen wir uns dem gegenwärtig offenbar üblichen Brauch, Lügen zum integrativen Bestandteil von Wahlkampagnen zu machen, um in höchste Staatsämter zu gelangen.

Was macht den perfekten Lügner aus? Er darf nicht dabei ertappt werden, dass er die Unwahrheit sagt. So etwas verlangt hohe Intelligenz, Skrupellosigkeit und ein gutes Gedächtnis. Ein Lügner muss sich nämlich nicht nur die Lüge merken, sondern auch die Wahrheit und die Umstände, unter denen er diese differenten Wahrnehmungen variiert hat, vor allem sollte er wissen, wen er wann angelogen hat, sonst entstehen irgendwelche das Blaue vom Himmel versprechende Legenden, die man nicht loswird.

Lügen sind anstrengend. Deshalb haben sie meist auch kurze Beine. Wer mit ihnen erwischt wird, ist in der Defensive. Er wird offensiv zu beweisen versuchen, dass er nicht absichtlich gelogen, sondern nur die Unwahrheit gesagt habe, weil ihm das bessere Wissen fehlte. Die Welt sei eben schlecht, selbst ihn, den hehren Helden habe sie getäuscht. So reden Verlierer. Ein Rückzieher schadet meist dem Image.

Lügner haben es seit biblischen Zeiten schwer. Schon im Zweiten Buch Moses, also in der entbehrungsreichen Phase des Exodus, heißt es eindeutig: „Du sollst nicht als falscher Zeuge gegen deinen Nächsten auftreten.“ Das wird nicht an irgendeiner Stelle geboten, sondern auf dem Berg von G'tt persönlich mitgeteilt. Man versuche also keine Managertricks wie etwa die Reservatio mentalis!

Wahrhaftigkeit ist Pflicht, obwohl Menschen eine natürliche Neigung zur Lüge haben. Laut Kant ist sie „der eigentliche faule Fleck der menschlichen Natur“. Wer nicht die Wahrheit spricht, kandidiert für die Hölle. Dante war dort, er hatte Schreckliches zu berichten: In ihrem achten Kreis, in zehn Gruben, steckt die Falschheit – Heuchler in Mänteln aus Blei, verlogene Propheten, Pharisäer, Päpste und andere korrupte Seelen. Ein ideales Biotop also auch für Lügenpräsidenten.

E-Mails an:norbert.mayer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.12.2016)

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