Urlaub und echte fremde Kulturen gehen nur schwer zusammen. Dafür sorgt schon die Tourismusindustrie.
In einem informativen Interview mit dieser Zeitung hat der türkische Botschafter Kadri Ecvet Tezcan sehr viel Aufschlussreiches gesagt, das sogar bis Ankara und Ottakring vorgedrungen ist, aber in einem Punkt hat er bei seiner Tour d'Horizon durch die wilde österreichische Seele übertrieben – wenn er behauptet: „Außer im Urlaub interessieren sich die Österreicher nicht für andere Kulturen.“ Dem möchte ich aus eigener Erfahrung widersprechen. Ich war schon oft auf Urlaub, aber in den wenigsten Fällen hatte der kulturelle Motive.
Das Wichtigste für mich und meine Familie bei diesen Pauschalreisen: Liegt das Hotel am Strand? Ist der Strand sandig und sauber? Und wie sauber ist das Wasser? Sekundär sind bereits die Fragen: Hat mein Zimmer Blick aufs Meer, und ist das Essen verträglich? Denn dabei vertraue ich meinem Reisebüro. Die Zimmer und die Gastronomie sind heutzutage beruhigend einheitlich. Bei einem gut geplanten Urlaub läuft man nicht Gefahr, dass einem etwas gefährlich fremd scheint. Und das ist auch gut so.
Ich will in den Ferien in Ruhe gelassen werden, in der einzigen gnädig politikfreien Zeit. Es fällt schwer genug, am Strand den familiären Frieden zu wahren. Deshalb ist es mir herzlich egal, ob mir die Limonade von einem Bengalen, Türken oder Inuit serviert wird. Freundlich soll er sein und diskret. Wenn ich eine andere Kultur kennenlernen will, mache ich einen Sprachkurs in Farsi, arbeite als Korrespondent in Istanbul, Berlin oder New York oder besuche andere internationale Städte. Es reicht mir aber auch schon, auf den multikulturellen Viktor-Adler-Markt zu gehen, mit seinen Kopftuch tragenden Bäuerinnen aus dem schönen Burgenland. Im Urlaub schau ich mir höchstens Gebäude an oder, wenn es sein muss, auch Ausstellungen. Aber niemand wird mich dazu animieren können, beim Folkloreabend auf einem Nil-Dampfer am Bauchtanz-Programm teilzunehmen.
Denn wer seine Kindheit in Tirol verbracht hat, weiß: Nichts am Tourismus ist echt. „Seid nett zu den Gästen!“, hieß die oberste Maxime. Dann seien die Piefke auch bereit, völlig überzogene Preise fürs Skifahren zu bezahlen. Damals gab es an den Liften immer den Tarif für Fremde und den niedrigeren für Einheimische. Niemals aber wäre es uns eingefallen, Touristen allzu viel vom Eigenen preiszugeben. Warum auch? Denen wurde mit Oberinntaler Konsequenz Idylle vorgespielt. Barockes Maskenspiel.
Dieses Vortäuschen gilt auch für Istanbul und Wien. Als ich vor gut 20 Jahren das schwer erklärbare Bedürfnis verspürte, mich mit einer wirklich fremden Kultur einzulassen, bin ich von Graz nach Favoriten gezogen. Um Land und Leute besser einschätzen zu können, besuchte ich im Zentrum das eben wiedereröffnete Café Griensteidl. Ich geriet an einen Tisch mit Deutschen. Der Ober erklärte uns die historisch bedeutsame Stätte. An eben diesem Platz seien Polgar und Friedell, Hofmannsthal und Herzl gesessen, sagte er und klopfte zur Bestätigung auf das Marmortischchen. „Alles original!“, sagte er. Die Piefke waren beeindruckt, zahlten und gingen zur Hofburg. „Wirklich alles echt?“, fragte ich. „Aber geh“, sagte der Kellner mit leicht böhmischem Einschlag, „nur für die Touristen!“ So vertraut kann einem die fremde Wiener Kultur werden.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.11.2010)