Der „Karl May von Altona“ war eine Frau

„Winnetou“ wird neu verfilmt. Über die schmerzlichen Seiten der weiblichen Karl-May-Begeisterung.

Generationen hätten ihn gehasst, weil er im Film Winnetous Schwester erschossen habe, erzählte Schauspieler Mario Adorf einmal im „Presse“-Interview. Dass Nscho-tschi erschossen wird, ist schon das Wichtigste, was sich über sie sagen lässt, wie ja die Frauen bei Karl May generell herzlich nichtssagend sind. Dafür werden die Männer angehimmelt, „Winnetou“ Pierre Brice war in den Sechzigern ein Frauentraum: mutig, anständig, treu und auch noch sexy, was will man mehr...

Auch jetzt ist es wieder ein Frauenmagazinthema, wer in der von RTL geplanten „Winnetou“-Neuverfilmung die Hauptrolle spielen wird. Hier sei an eine andere Seite der weiblichen Karl-May-Begeisterung erinnert. „Karl May von Altona“ wurde ein deutscher Autor genannt, der im 19.Jahrhundert Abenteuerbücher für ältere Kinder schrieb, etwa „Auf dem Kriegspfade. Eine Indianergeschichte aus dem fernen Westen“. S. Wörishöffer stand auf den Titelseiten, den Vornamen wollte man nicht preisgeben – wer Bubenbücher schrieb, durfte nicht Sophie heißen. Diese Sophie Wörishöffer muss eine starke Frau gewesen sein; sie erschrieb sich den Lebensunterhalt für sich und ihren unehelichen Sohn und war fast so erfolgreich wie Karl May.

„Bin ich nicht ein prächtiger Bursche?“, denkt der kleine Drache in Otfried Preußlers Buch „Vom Drachen, der zu den Indianern wollte“; „wenn ich frei bin, fliege ich auf dem kürzesten Weg zu den Indianern. Ich lasse mich hier nicht festhalten, ich will frei sein und fliegen können, wohin ich mag!“ Generationen von Mädchen lasen Karl May so und wollten „Indianer spielen“, ihre in Texte gegossene Sehnsucht liest sich schmerzlicher als die der Männer. „Kleine Mädchen dürfen nicht mit uns Indianer spielen“, sagen Lars und Bosse in Lindgrens „Wir Kinder aus Bullerbü“ zu Lisa. Die britische Autorin Hilary Mantel beschreibt in ihrer Autobiografie „Geist und Geister“, wie sie als kleines Kind fest geglaubt hat, mit vier endlich ein Bub zu werden. Das Kind wird vier, bleibt ein Mädchen, sagt sich aber, „ich war einmal eine Indianerin“, mit schwarzen Haaren und einem Tipi; das „Indianerspiel“ ist nur ein Spiel – aber irgendwann „in einem anderen Leben“, spürt das Mädchen, hatte sie „ein Recht auf diese Dinge“.

Heute dürfen auch Mädchen Winnetou heißen. Die Tochter des Dramatikers Carl Zuckmayer hieß so – allerdings nur, weil die Mutter sich einen Sohn gewünscht hatte.

anne-catherine.simon@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.03.2015)

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