Endlich reden die Menschen einmal über den Musikkritiker

In der Staatsoper wird demnächst die Gretchenfrage gestellt: „Ist Musikkritik noch up to date?“ Das dürfte in Zeiten wie diesen durchaus spannend zu diskutieren sein.

Franz Welser-Möst ist ein Dirigent, der nicht nur Partituren genau liest, sondern auch Musikkritiken. Oder zumindest gewinnt man den Eindruck, dass er sich für das journalistische Genre interessiert. Kommenden Sonntagvormittag bittet er wieder einmal zur Gesprächsmatinee in die Staatsoper.

Als Gäste hat er führende Musikkritiker aus Wien (Karl Löbl) und Frankfurt (Eleonore Büning) eingeladen, den musikliebenden Kunsthändler Thaddaeus Ropac und Peter Michael Lingens, über dessen Naheverhältnis zur Kulturberichterstattung man bei dieser Gelegenheit vielleicht etwas erfahren wird.

Das Schönste an der Ankündigung dieses Elf-Uhr-Termins am 22.September im Haus am Ring ist die Tatsache, dass damit einer gern verlästerten gebrauchsliterarischen Gattung Reverenz erwiesen wird, einer Gattung, von der viele behaupten, sie sei längst schon tot bzw. dort, wo sie noch gepflegt wird, ein sinnloser Anachronismus.

Das wird gewiss zum Thema werden am kommenden Sonntagvormittag, drängen doch die meisten Medien weltweit die Kulturberichterstattung ins Abseits – oder schaffen sie ganz ab. In Amerika haben fast alle Zeitungen, sehen wir von der „New York Times“ einmal ab, ihre Musikkritiker in Pension geschickt. Nachberichterstattung gilt als Platzverschwendung.

Entsprechend in Verödung begriffen sieht das US-Musikleben jenseits von New York ja mittlerweile auch aus. Ereignisse, über die nicht berichtet wird, gebären in der Regel kaum noch Nachwuchs. Die in solchem Kontext gern gestellte zynische Frage, ob denn da die Henne oder das Ei zuerst da gewesen sei, wird im guten alten Europa mit der gewohnten Verspätung gestellt werden.

Oder auch gar nicht. Jedenfalls wird hier ja (zumindest im deutschsprachigen Raum) noch kritisiert – und Konzertsäle wie Opernhäuser sind voll. Am vollsten sind sie in Wien, wo nicht nur (pro Kopf gerechnet) am meisten Klassik angeboten wird, sondern auch am meisten darüber geschrieben wird.

Die Balance stimmt offenbar. Weshalb man vielleicht das Hühnerrätsel mit dem Zitat des Veranstaltungstitels substituieren sollte, der ebenfalls in Frageform abgefasst ist. „Ist Musikkritik noch up to date?“, will der Generalmusikdirektor von seinen Gesprächspartnern wissen.

Vorlaut ließe sich zurufen: Vorausgesetzt, auf dem Konzertpodium wie im Auditorium verstehen die Professionisten ihr Handwerk, wird die Musikkritik vermutlich so up to datesein wie das, was jene tun, die da kritisiert werden. Wenn also eine Aufführung der „Eroica“ je up to datesein kann, ist es die dazugehörige Rezension vermutlich auch; sofern pünktlich sie am übernächsten Werktag auf der Kulturseite erscheint . . .

Mails an: wilhelm.sinkovicz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.09.2013)

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