Als wär's eine Operette: Kriegsgelüste im Wiener Walzertakt

Musikstudenten führen uns vor Ohren, wie es klingt, wenn Franz Lehár oder Emmerich Kálmán das Säbelrasseln zur "leichten Muse" machen.

Wie groß meine Sehnsucht ist, mich in Reih und Glied zu stellen und wirkliche Kämpfe mit tausend anderen zusammen zu leisten, gegen die meine Kämpfe, die ich allein geführt habe, ein Kinderspiel sind – das kann ich Ihnen nicht sagen.“ Diesen Satz formulierte 1914, wenige Tage nach der Kriegserklärung, Arnold Schönberg. Der nachmalige Erfinder der Zwölftonmethode hatte zu diesem Zeitpunkt noch recht profan-militante Zielvorstellungen.

Derlei Details verschweigen die Historiker gern, denn sie passen nicht ins Bild vom klugen, stets politisch korrekten Musiker-Dichter-Philosophen. Wenige Wochen später fiel Schönberg, eingerückt, beim Anblick einer blutverschmierten Kappe beinah in Ohnmacht und wurde in einem viel zu weiten Mantel zum „Gelächter der Kompanie“. Es ist vielleicht gut, das vorauszuschicken, bevor man einen Abend empfiehlt, der morgen im Musikverein in Wien stattfindet. Da bitten die Musiktheaterklassen von Erhard Pauer und Wolfgang Dosch zur Vorkriegs- und Kriegsrevue und zeigen, wie die allgemeine Kriegslust sich anno 1913 bereits in euphorischer Propagandakunst niederschlug.

Die berühmtesten Namen des Unterhaltungsgenres finden sich auf der Programmliste, Ungeheuerlichkeiten aus der Feder von Melodienspendern wie Franz Lehár, Emmerich Kálmán, Ralph Benatzky und anderen bilden den Auftakt: „Tanz auf dem Vulkan“.

Nach der Pause heißt es „Tanz' mein Lieber, eh's vorüber“. Und wer nicht glauben kann, dass sich die gesamte Prominenz der Szene willig in den Dienst der martialischen Sache gestellt hat, sei getröstet: Neben Schönberg standen auf der „ernsten Seite“ auch Erich Wolfgang Korngold und Wilhelm Kienzl freudig im patriotisch, allzu patriotischen Lager.

Da die Aufmerksamkeit morgen aber vorrangig dem Operettengenre gilt, konterkarieren die jungen Künstler die musikalischen Darbietungen mit Lesungen von Texten eines Karl Kraus oder Robert Musil – um den Schock zu mildern. Die Diskrepanz zwischen klingender Realität und gelernter Geschichte könnte sonst zu grell ausfallen.

Wer eine solche Dokumentation zu desillusionierend findet, mag im selben Haus ein paar Stockwerke höher zu René Clemencic pilgern, der im Brahms-Saal Musik der Trienter Codizes vorstellt. Da tauchen wir weit hinab in die europäische Historie – als auf der Krim noch Tataren, Türken und Mongolen um die Herrschaft rangen . . .

Wovon die Meister der sogenannten Niederländischen Schule wohl kaum Kenntnis hatten. Sie trieben die polyphone Kunst der Musik einer ersten, in ihrer subtilen Meisterschaft nie wieder erreichten Spitze zu. Auch das lehrreich – und aus heutiger Perspektive ganz friedlich.

E-Mails an:wilhelm.sinkovicz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.03.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.