Schafft mir endlich das L wieder her!

Keine Sporter, keine Künster, warum dann, bitte schön, Wissenschafter?

Unbescheiden, wie ich bin, hätte ich an den Geehrten einen Wunsch: Mit Wendelin Schmidt-Dengler wurde einer der beliebtesten Universitätsprofessoren des Landes ausgezeichnet. Und weil er Germanist ist, hätte ich mir erträumt, er würde zumindest mit einem charmanten Seitenhieb darauf verweisen, doch lieber zum „Wissenschaftler“ als, wie es ausdrücklich hieß, zum „Wissenschafter des Jahres“ gekürt worden zu sein.

Ein kleines L wäre so viel Aufhebens wert? Mich ärgert sein Fortfall im offiziösen Sprachgebrauch seit langem. Haben die Herren und Damen von der Universität Angst davor, mit den Bettlern in einen Topf geworden zu werden oder, Gott behüte, mit Burschenschaftlern?

Zumindest sind sie doch die Vermittler der Weisheit – und, mögen sie dank Immobilienbesitz möglicherweise nebenher auch als Vermieter fungieren, so sind sie jedenfalls doch keine Vermitter. Nicht einmal Sporter, auch wenn sie das sommerliche Laufen wie das winterliche Schifahren so ernst nehmen wie Forschung und Lehre, weil beides, klug dosiert, der Gesundheit zuträglich sein mag.

Warum also Wissenschafter? Weil, spitzfindiges Argument, der gute Adalbert Stifter das Wort einmal verwendet hat, gleich am Beginn seines „Nachsommers“, also zu einem Zeitpunkt, wo selbst der ungeduldigste Bildungsbeflissene das Erbauungsbüchlein noch nicht zornerfüllt in die nächste Ecke geworfen hat. Weil dieser Stiftersche Ausrutscher also möglicherweise entdeckt werden könnte, führe ich ihn hier an, um ihn als Ausnahme von der Regel stehen zu lassen. Kein Mensch sagt oder schreibt sonst freiwillig „Wissenschafter“, denke ich. Er oder sie tun es nur, von einem Korrektheitswahn geleitet, der höhere Berufe von niedrigeren trennen will, mögen Künstler Künstler bleiben, getreu dem Motto: „Kinder hängt's die Wäsch' weg, die Komödianten kommen“.

Derselbe Wahn lässt in einer Art Sprachentnazifizierung seit längerer Zeit deutschsprachige Ortsnamen zwanghaft verschweigen. Kaum jemand hat zum Beispiel erfahren, dass 2007 Hermannstadt Kulturhauptstadt Europas war und überdies Gastgeberstadt einer großen ökumenischen Versammlung – denn in sämtlichen Berichten war ausschließlich von Sibiu die Rede; wie ja auch jeder korrekte Zeitgenosse deutscher Zunge längst nicht mehr nach Pressburg, sondern nach Bratislava fährt und wohl demnächst nach Praha und Brno pilgern wird, um die kakanische Vergangenheit oder die Realität tschechischer Bierbrauerkunst zu studieren.

Kein Italiener, um das abzuschließen, käme bis dato aber auf die Idee, zu Silvester nach Wien oder zu den Festspielen nach Salzburg zu fahren. Sie fahren nach Vienna und Salisburgo – und sind deshalb doch keine Chauvinisten; oder doch? Der Zufall will es, dass in der Biografie Wendelin Schmidt-Denglers zu lesen steht, er sei 1942 in Zagreb geboren. Womit wir vielleicht am wunden Punkt rühren, der Menschen mit historischem Bewusstsein davor zurückschrecken lässt, just in Verbindung mit diesem Geburtsjahr den Namen Agram in den Mund zu nehmen. Aber vielleicht dürfen wir ihn trotzdem zum Wissenschaftler des Jahres machen?


wilhelm.sinkovicz@diepresse.com("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.01.2008)

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