Ein Besuch im Musikverein kann zur Zeitreise werden

Beim Clemencic Consort erfahren wir, worum Herrscher im 15. Jahrhundert sich am liebsten gezankt haben: um gute Kapellmeister.

Übermorgen ist es wieder so weit: René Clemencic, der ein paar Tage später seinen 88. Geburtstag feiern wird, holt sein Consortium wieder in den Brahmssaal des Wiener Musikvereins und präsentiert Musikfreunden dort Staunenerregendes. Das ist ja seit Jahr und Tag die Stärke dieses Universalgelehrten unter den Musikern, dass er des Forschens und Grabens in den Archiven nicht müde wird. Kaum eines seiner Konzertprogramme hat sich je wiederholt. Wer die Zyklen verfolgt hat, staunt auch über die Vielfalt des Clemencic-Repertoires, das vom frühen Mittelalter bis in die Klassik reicht.

Wobei er jene Zeitalter besonders gern berücksichtigt, in denen es für die Menschheit noch keineswegs selbstverständlich war, Melodien vor allem in Dur und Moll zu singen. Es ist ja so: Die Originalklangmode hat uns eine Erweiterung des Horizonts um einige Jahrzehnte gebracht. Bis hinunter zu Monteverdi sind uns die Großmeister der Musikgeschichte mittlerweile nicht nur dem Namen nach, sondern auch dank vieler klingender Beispiele in den Konzertsälen, Opernhäusern und vor allem auf Tonträgern vertraut.

Was vor dem „Orfeo“ liegt, ist weitaus weniger gängig. Die Dur-Moll-Grenze scheint doch recht undurchlässig für den musikalischen Normalverbraucher zu sein.

René Clemencic hat sich davon nie irritieren lassen. Sein Publikum auch nicht. Am Mittwoch wird es Musik von Alexander Agricola lauschen. Dem Namen sind selbst hartgesottene Musikvereins-Habitués wohl kaum je begegnet. Und doch war er einer der Größten. Regenten haben sich um ihn gerissen. Anders als bei Meister Bach, den geringere Fürsten wegen Insubordination ins Gefängnis warfen, schrieb der König von Frankreich Bettelbriefe an den Medici-Herzog von Florenz, der ihm den Musikanten abspenstig gemacht hatte.

Das war, damit wir uns der historischen Dimensionen bewusst werden, ein Vierteljahrtausend früher!

Grund genug, neugierig zu sein und sich auf eine Hörreise zu begeben, um zu erfahren, was die Zeitgenossen an den Kompositionen des in Paris und Neapel Umschwärmten so gefesselt hat: eine bis heute bezaubernde Eleganz und Geschmeidigkeit der Melodik, die sich noch dazu in aller Regel auf mehreren Etagen des Klanggebäudes ereignet: Man darf dabei auch studieren, was das Wort Kontrapunkt in Wahrheit bedeutet, die Harmonisierung völlig voneinander unabhängiger Stimmen.

Apropos: Den Komponisten ereilte in Spanien dasselbe Schicksal wie seinen letzten Dienstherrn, Philipp den Schönen...

E-Mails an:wilhelm.sinkovicz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.02.2016)

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