Das Wienerische an einem indischen Musik-Globetrotter

Seinen 80. Geburtstag feierte der Weltbürger Zubin Mehta mit philharmonischen Konzerten in der Stadt, in der er zum Dirigenten wurde.

Seine Vorliebe für Apfelstrudel artikulierte Zubin Mehta nicht erst, als man ihn zum Dirigenten des Neujahrskonzertes machte. Er hat sich immer zu jener Stadt bekannt, in der er – in der legendären Kapellmeisterklasse von Hans Swarowsky – zum Dirigenten ausgebildet wurde und als Stehplatzbesucher noch viele legendäre Aufführungen und Konzerte unter Karajan, Karl Böhm oder Hans Knappertsbusch erleben durfte.

Ein bisschen von den beiden Letztgenannten – Böhm hat Mehta immerhin den Nikisch-Ring vererbt! – hat Mehta als Tugenden ins Zeitalter der filmtauglichen Musikdarsteller herübergerettet. Am Pult erinnert er jedenfalls mehr an einen souveränen Verkehrspolizisten denn an einen Pantomimen.

Freilich: „Manchmal blitzt er uns aus den Augen an“, kommentiert ein Mitglied des Wiener Singvereins nach den jüngsten Aufführungen von Mahlers Zweiter. Der Satz bringt es auf den Punkt: Der Animator versteht sich als einer, der eine große Musikergemeinschaft quasi partnerschaftlich dazu einlädt, das Musikmachen auf allerhöchstem Niveau zu betreiben. Jeder für sich und alle miteinander genau aus jenem Antrieb heraus, der jeden Einzelnen zum Musiker werden ließ.

Wo es da noch ein Mehr an Motivation braucht, genügen feurige Blicke, um Instrumentalisten und Sänger an ihre eigenen guten Vorsätze zu erinnern. Auf diese Weise bedarf es dann keiner gymnastischen Übungen eines Pultvirtuosen, um ein Werk wie die „Auferstehungssymphonie“ unter Beteiligung der Wiener Philharmoniker und des Singvereins und zweier so wunderbarer Solistinnen wie Chen Reiss und Elisabeth Kulman zu einem beinah theatralisch-konzertanten Erlebnis werden zu lassen. Die Musik interpretiert sich ja wirklich selbst, wenn alle mit Herzblut zu realisieren versuchen, was in den Noten – und diesfalls auch im Text – steht.

Mehta wird vom Publikum seit jeher freundlichst empfangen. Schon als er – als Jüngster im Bunde der damals nachrückenden Generation an prominenten Maestri – früh bei den Salzburger Festspielen dirigierte und auch an der Staatsoper Wagner- und Verdi-Premieren anvertraut bekam.

Die Höhen und Tiefen des Neuinszenierungsbetriebs hat Mehta am eigenen Leib miterlebt, einen abgebrochenen „Ring“, einen verblödelten „Rienzi“ – aus völligem Mangel an Deutungstiefe abgebrochen das eine Projekt, ein Regie-Meuchelmord das andere (wie zwischendurch auch der ebenfalls von Mehta einstudierte „Troubadour“). Es ist kein Zufall, dass die schönsten Mehta-Opernerinnerungen an Repertoire-Aufführungen geknüpft sind. Dabei gelangen dem gelernten Wiener nämlich „Salome“- und „Tristan“-Aufführungen von feiertäglichem Zuschnitt. Auch dank seiner Kombination aus technischer Sicherheit und Spontaneität, die tatsächlich an frühere, große Kapellmeisterzeiten erinnert. Ad multos annos.

E-Mails an:wilhelm.sinkovicz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.05.2016)

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