Nicht alle Sammler wollen nur Geld machen

Athen bringt Kulturgut aus dem öffentlichen Raum in Sicherheit, Brüssel vernichtet es, Köln vergräbt es.

Seit es die Menschheit gibt, oder jedenfalls beinah so lang, diskutiert sie über die Frage, was bewahrenswert ist, was man wegwerfen darf, was ein Objekt für die Sammelleidenschaft sein könnte, was so rasch als möglich zu entsorgen wäre. Wer nicht mit seiner Mutter im Kinderzimmer über solche Fragen diskutiert hat, werfe den ersten Bierdeckel auf den Kolumnisten.

Die Sache scheint mir eng verwandt mit der Auseinandersetzung über das Thema: Was ist Kunst? Und vor allem: Was macht sie bewahrenswert? Am Beispiel Athens mag man studieren, wie disparat die Ansichten darüber sein können. In der griechischen Hauptstadt werden demnächst 49 von 201 Büsten bedeutender Männer, voran Philosophen, durch Kopien ersetzt.

Der Grund: In jüngster Zeit sind mehrere solcher Denkmäler geraubt worden. Und zwar, wie man vermutet, nicht einmal durch kunstsinnige Schöngeister, die gern eine Bronzebüste von Sokrates im Arbeitszimmer stehen haben möchten, sondern durch eine Bande, die darauf spezialisiert ist, metallische größere Gegenstände einzuschmelzen und damit gutes Papiergeld zu machen.

Und das nach Abschaffung der 500-Euro-Scheine!

Man weiß das, weil dieselben Leute auch Gully-Deckel stehlen. Die älteren, von massiver Bauart. Die sind ähnlich gut fürs Geschäft, wie ein Porträt des (gegenüber Kriminalität solch komödiantischen Zuschnitts gewiss aufgeschlossenen) Aristophanes.

Man ahnt nun, warum die Stadtväter von Köln jüngst beschlossen haben, ihr geplantes Selbstbeschau-Museum inklusive römischen Palasts gleich unterirdisch zu planen.

Wenn am Rhein mit dem Bau dieses historischen Museums begonnen wird, ist ein anderes Projekt bereits Geschichte: In Brüssel werden bald die Gebäude auf dem ehemaligen Werksgelände eines großen Chemiekonzerns geschliffen.

Das wäre nicht weiter beachtenswert, hätte nicht in diesen Räumen der Künstler Denis Meyers während der vergangenen Monate auf 25.000 Quadratmetern Wände, Türen und Heizkörper mit Porträtzeichnungen besprüht, die er während zweier Jahrzehnte in seinen Notizbüchern skizziert hat: allesamt Abbilder unbekannter Zeitgenossen; und daher vielleicht auch nicht so erhaltenswert wie Athener Philosophenbüsten.

Aber wer weiß. Vielleicht gehen die Meinungen auch da auseinander. Manche Sammler bieten für die eigenartigsten Dinge hohe Preise. In München werden demnächst Gegenstände aus den Privathaushalten von NS-Größen versteigert. Die Unterhose Hermann Görings soll darunter sein. Ob sich aus der noch so viel machen lässt wie aus einem Athener Kanaldeckel?

E-Mails an:wilhelm.sinkovicz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.06.2016)

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