Die musikalische Moderne von gestern und vorgestern

Im Radiokulturhaus spielt man heute Abend Musik von György Ligeti, der vor zehn Jahren starb. Alban Berg setzt man um 22 Uhr ein Denkmal.

Heute ist ein Abend der Würdigungen. Im Radiokulturhaus bittet man zu einem Gedenkkonzert für György Ligeti, der vor genau zehn Jahren gestorben ist. Als einer, der nach 1945 lieber die Möglichkeiten der Töne und Klänge von Grund auf neu hinterfragte, als dass er an Altbewährtes angeknüpft hätte, ist dieser ungarische Meister in die Geschichte der musikalischen Avantgarde eingegangen.

Vom Publikum zunächst abgelehnt – wie sämtliche Komponisten seiner Generation, gleich welcher Richtung sie angehören mochten –, wurde er spätestens im Ausklang des 20. Jahrhunderts zu einer Ikone aller aufgeschlossenen Musikfreunde, die draufkamen, dass ihnen die komponierenden Zeitgenossen ja nichts wegnehmen wollten – Mozart wurde und wird so viel gespielt wie eh und je –, sondern vielleicht doch noch ein bisschen etwas Bemerkenswertes zum Repertoire-Kanon hinzuzufügen hatten.

Plötzlich entdeckte man damals die pittoresken, zum Teil sogar humorvollen Seiten von Ligetis Klangmalereien. Und es ist nur folgerichtig, dass man ihn heute Abend im Funkhaus in der Argentinierstraße – mit Andrea Eckert als prominenter Stimme – in Beziehung setzt mit sprachlichen Experimentatoren wie Ernst Jandl, der die Buchstaben- und Begriffsmasse der Sprache ja auch gehörig durcheinanderzuwirbeln verstand und hintergründige Klang-(Sinn-)Kompositionen hervorzubringen wusste.

Wer nach dem Ligeti-Experiment dann in Richtung Innenstadt pilgert, kommt vielleicht zu Recht zur Staatsoper – nicht unbedingt, um ein Autogramm von Anna Netrebko zu errittern, die dort dann schon als Manon Lescaut eines lyrischen Todes gestorben sein wird; das Dissonante an dieser Aufführung wird wohl nur das Bühnenbild sein, ein Erbstück der Ära Holender, dass zu Puccinis Musik und zur Handlung passt wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge.

Aber vor der Staatsoper enthüllt man um 22 Uhr ein Denkmal für einen Mann, der es wie kein anderer verstanden hat, uns Emanzipation der Dissonanz in der Musik als wünschenswerte Tatsache erscheinen zu lassen. Keine Zwölftonmusik klingt schöner als „Lulu“ und sein Violinkonzert, kein atonales Stück zwingender, packender, ausdrucksstärker als der „Wozzeck“. Alban Berg hat es in den Ohren sensiblerer Musikfreunde längst verdient, dass man ihm endlich ein Denkmal setzt.

Die Alban-Berg-Gesellschaft wiederum gibt mit der heutigen Enthüllung nach der Überstellung von Bergs Ford ins Technische Museum ein zweites Lebenszeichen nach langem Dornröschenschlaf. Vielleicht folgen der heutigen Ausschank von Freibier inklusive Würstelspende ja auch noch sinnvolle Maßnahmen zur Pflege des Komponistenerbes; wenn schon mit der Gesamtausgabe nichts weitergehen will – was angesichts der hohen Aufführungszahlen des Berg'schen Œuvres auch gar nicht so vordringlich scheint –, öffnet man vielleicht einmal Bergs Wohnung oder das Kärntner Waldhaus als Museum?

E-Mails an:wilhelm.sinkovicz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.06.2016)

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