Bühnen voller Gerümpel: Unsere Anti-Wieland-Ära

Zu Wieland Wagners 50. Todestag: Seine Verdienste ums Musiktheater wiegen vielleicht schwerer als sein politisches Verhalten in jungen Jahren.

Heute jährt sich der Todestag von Wieland Wagner zum 50. Mal. Darf man aus diesem Anlass gegen den Stachel des Zeitgeists löcken und einmal nicht über Zeitgeschichte polemisieren, sondern ausschließlich daran erinnern, dass dieser Mann einer der wichtigsten Opernregisseure des 20. Jahrhunderts war? Er hat mehr zur gedeihlichen Entwicklung des Musiktheaters beigetragen als die meisten Vertreter seiner Zunft.

Das Wort Regietheater ist – vor allem für Musikfreunde – ein rotes Tuch, weil Kollegen und Nachfahren Wieland Wagners, die zum Teil der Ansicht waren, an seine Arbeiten anzuknüpfen, die Ideen des Herrn von Neu-Bayreuth pervertiert haben. Die Revolution, die von den „Wieland-Produktionen“ nach Wiedereröffnung der Festspiele 1951 ausgegangen ist, war jedenfalls weltumspannend. Die viel zitierte „Entrümpelung“ der Bühne, die Konzentration auf die Beziehung zwischen den handelnden Personen hatten fatale Folgen. Denn den Regiekünstlern der folgenden Generation mangelte es in der Regel an einer Eigenschaft, die grundlegend für Wieland Wagners Arbeiten war und ihnen ihre unausweichliche Wirkungsmacht verlieh: Musikalität. Wieland-Inszenierungen waren aus der Musik geboren.

Nicht nur bei den Werken seines Großvaters bedeutete das, den Text, den Gehalt und alles, was zwischen den Textzeilen mitschwingt, in Bewegung, Gebärde, Geste – und nicht zuletzt: in Blicke zu verwandeln. Es ist doch das Geheimnis des Musiktheaters, dass die Musik von Genies wie Wagner, Verdi, Mozart oder Richard Strauss alle diese Wahrheiten in sich trägt. So vermag nur aus Musik geborene szenische Aktion die Totalität erfüllten Musiktheaters zu garantieren.

Das hat nach Wieland Wagner kaum ein Regisseur mehr begriffen – oder in die Tat umzusetzen verstanden. Seine Nachfahren räumten die von falschem Ballast befreite Bühne wieder mit Versatzstücken eigener Vorstellungen voll. Der sprichwörtlichen Entrümpelung folgte Gerümpel aller Art – und aus dem Gerümpel geborener Aktionismus. Dort halten wir derzeit. Wir leben in einer Anti-Wieland-Ära.

Und da die letzten verbliebenen Wieland-Produktionen nicht nur in Bayreuth, sondern auch in Wien und anderswo möglichst rasch aus den Spielplänen eliminiert wurden, bleibt uns die nur langsam verblassende Erinnerung an „Lohengrin“ oder „Elektra“, wie sie szenisch seit damals nicht auch nur annähernd adäquat neu gedacht, neu gestaltet worden sind. Vielleicht wiegen solche Gedanken doch schwerer als die Antwort auf die Frage, welche Politikerhand ein junger Komponistenspross einst geschüttelt hat.

E-Mails an:wilhelm.sinkovicz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.10.2016)

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