Der Europäische Rettungsschirm ESM – ein krasser Knebelvertrag

Risiken des ESM sind unberechenbar, die Kosten zu hoch, ein nachträglicher Ausstieg unmöglich: Dem darf man nicht zustimmen!

Möglichst ohne Aufsehen soll Anfang Juli im Parlament der Permanente Europäische Rettungsschirm (ESM) gemeinsam mit dem Fiskalpakt beschlossen werden. Aber der Großteil der Bürger, vielleicht auch der Abgeordneten, hat die Tragweite des ESM offenbar nicht verstanden.

Aufgabe des Fiskalpaktes wäre es, dafür zu sorgen, dass all die Haftungen, die wir vom ESM übernehmen, nicht schlagend werden, also zu keinen realen Kosten für uns führen. Damit sollte man aber nicht rechnen. Der Pakt ist von Anfang an nur mit Milchzähnen ausgestattet. Die Strafen bei Verstößen liegen bei 0,1 bzw. 0,5Prozent des BIPs, und es bleibt unsicher, ob sie im Ernstfall verhängt würden; ihre Höhe ist geradezu lächerlich – zum Vergleich hat Griechenland bisher circa 250Prozent des BIPs an Hilfszahlungen erhalten.

Daneben gibt es kontinuierlich Nachverhandlungen der Schuldnerstaaten, um den Pakt aufzuschnüren und Kredite für die Schuldner weiter zu verbilligen – mehr Geld für Wachstum, Eurobonds, weitere Staatsanleihenankäufe. Ein krasses Beispiel, was dabei herauskommt: Griechenland hat entgegen allen Versprechungen wieder 70.000Beamte eingestellt – unsere Kontrollen greifen zu kurz und kommen zu spät.

Ich halte es auch für nicht vertretbar, quasi mit Stasimethoden die Einhaltung der Auflagen in anderen Ländern zu überwachen.

Verlorene Wettbewerbsfähigkeit

Das Grundproblem liegt darin, dass die Preisniveaus verschiedener Länder im Euroraum, induziert durch Zinskonvergenz, zu hoch wurden, die Wettbewerbsfähigkeit ging verloren. Es gibt ein einziges Instrument, das zu korrigieren, nämlich den Wechselkurs. Schaltet man ihn aus politischen Motiven aus, steht kein gleichwertiges Instrument mehr zur Verfügung. In Demokratien sind interne Abwertungen kaum möglich (wir sehen, wie sich die Politiker dagegen sträuben, allen voran François Hollande). Wenn doch, bringen sie das Land um viele Jahre wirtschaftlicher Entwicklung. Die Kosten der fixen Idee, die Politik könne sich über ökonomische Grundgesetze einfach hinwegsetzen, tragen die Bürger mit dem Verlust ihres Vermögens, ihrer Arbeitsplätze und ihres Lebensstandards.

Zurück zum ESM: In diesem verpflichtet sich Österreich, weitere Haftungen zu übernehmen (wobei der IMF vorrangiger Gläubiger ist) – und zwar ohne zu wissen, wie hoch diese im schlechtesten Fall werden und ohne Einfluss auf die Mittelverwendung zu haben. Im Extremfall haben wir auf sämtliche Entscheidungen überhaupt keinen Einfluss.

Der ESM ist eine „Bad Bank“, ihre Aufgabe ist es, nicht einbringliche Kredite der Südstaaten zu sammeln und den Steuerzahlern aufzubürden. Die anfängliche Größe liegt bei 700Milliarden Euro. Der ESM darf alle Bankgeschäfte tätigen, eine Banklizenz wird nicht als nötig erachtet. Der aus den Finanzministern der Eurostaaten bestehende „Gouverneursrat“ entscheidet anhand intransparenter Vergabekriterien: Aktivierung erfolgt, „wenn dies unabdingbar ist, um die Stabilität des Euro-Währungsgebietes zu wahren“.

Die Körperschaft entzieht sich jeder effektiven Kontrolle, darf nicht geklagt werden, aber jedermann klagen. Gehälter der Mitarbeiter werden geheim festgesetzt, selbstverständlich steuerfrei. Wir haften anfangs mit maximal etwa 18Milliarden Euro (zunächst werden 2,2Mrd. in Raten eingezahlt). Weiteren Aufforderungen zu Kapitalnachschüssen ist fristgerecht, unwiderruflich und uneingeschränkt Folge zu leisten.

Kommen andere Staaten ihrer Zahlungspflicht nicht nach, müssen wir einspringen. Mit anderen Worten besteht die Möglichkeit, dass die Geldleistungen die Haftungen übersteigen.

Intransparente Mittelvergabe

Die Mittelvergabe ist intransparent, aber nicht anfechtbar. Ob Österreich im Fall einer internen Bankenkrise – Stichworte: Fremdwährungskredite und Ostgeschäfte– Hilfsgelder zu erwarten hätte, steht in den Sternen.

Pikant ist der Verlust aller Stimmrechte, wenn ein Land seinen Zahlungsverpflichtungen nicht unverzüglich nachkommt: Normalerweise hat der Gläubiger mit der Drohung, Zahlungen einzustellen, ein starkes Pfand. Hier drehen die Schuldner den Spieß um und berauben den Gläubiger sämtlicher Kontrollrechte, sobald er seine Verpflichtung weiterer Zahlungen nicht erfüllt.

Mit Einstimmigkeit kann der Gouverneursrat eine Ausweitung des Stammkapitals (auf drei bis vier Billionen) oder eine Verlängerung der Liste zulässiger Instrumente (Staatsanleihenkäufe, Eurobonds) beschließen.

Zentral für Österreich: Wenn EU und EZB zum Schluss gelangen, dass es „eilt“, wird ein Dringlichkeitsabstimmungsverfahren angewandt. Dabei wird die Regel des gegenseitigen Einvernehmens durch eine qualifizierte Mehrheit von 85Prozent ersetzt. Die kleinen Zahlerländer Österreich, die Niederlande, Finnland, Slowenien und Slowakei zusammen hätten weniger als zwölf Prozent der Stimmen, also kein Mitspracherecht.

Blinde Gefolgschaft?

Wir verlassen uns hier offenbar blind auf Deutschland. Hier soll keine historische Parallele gezogen werden – allein die nicht unplausible Vorstellung, dass die nächsten Wahlen die politische Machtkonstellation verschieben, wirkt beunruhigend.

Hans-Werner Sinn fragte sich, ob eigentlich eine Hebelung etwa durch Ankauf von Staatsanleihen möglich sei, diese werden im Vertrag nicht limitiert. Zufällig unterbreiteten südliche Regierungschefs beim letzten Treffen genau diesen Vorschlag, der ESM möge doch auch eine Lizenz bekommen, Staatsanleihen aufzukaufen.

Einen solchen Vertrag darf man nicht unterzeichnen – gleich wie man zur Lösung der Eurokrise steht: Die Risiken sind unberechenbar, die Kosten (inklusive der erhöhten Refinanzierungskosten für die Staatsschuld!) zu hoch, ein nachträglicher Ausstieg unmöglich. Die Vorteile kommen einseitig den Geldempfängern zugute. Es handelt sich um einen krassen Knebelvertrag.

Was geändert werden müsste

Eine mögliche Liste einforderbarer Änderungen wäre:
1.)Alljährliche Kündigungsmöglichkeit der ESM-Mitgliedschaft;
2.)Bekanntgabe der Obergrenze potenzieller Haftungen;
3.)Ausschluss der Möglichkeit, dass Einzahlungen säumiger Mitglieder von anderen Ländern übernommen werden müssen;
4.)erhöhte Transparenz der Entscheidungsfindung im EMS, verstärkte Kontrolle.

Ratifiziert Österreich diesen Vertrag im Juli nicht, bricht der Euro nicht zusammen. Gelegenheiten, zig Milliarden an Haftungen ohne Gegenleistung zu verschleudern, werden sich auch in Zukunft ausreichend ergeben. Aus Verzweiflung und Unwillen, Alternativen anzudenken, die Flinte ins Korn zu werfen und diesen Knebelvertrag zu unterzeichnen, ist die schlechteste aller Lösungen. Sie kann Österreich an den Rand der Zahlungsfähigkeit bringen.

Zur Autorin


E-Mails an: debatte@diepresse.comEva Pichler (54) studierte Volkswirtschaftslehre in Wien und an der London School of Economics. Sie war Universitätsassistentin an der Uni Graz, derzeit a.o. Professorin an der Wirtschaftsuniversität Wien. Ihre Spezialgebiete sind: Wettbewerbsökonomie, Industrieökonomik, Sozialpolitik. [Privat]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.06.2012)

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