Sehenden Auges in ein Verlustgeschäft in Billionenhöhe

Gastkommentar. Die Akzeptanz der Bankenunion ist der zentrale Schritt, der Tür und Tor zur gemeinsamen Haftung von Bankeinlagen öffnet.

Versicherungen sind eine gute Sache: Sie verschieben Risken von Einzelpersonen auf eine Gruppe, in welcher das Risiko aus statistischen Gründen besser berechnet und bepreist werden kann. Die individuelle Lebenserwartung von Max Mustermann ist unbekannt, aber die statistische seiner Zeit und seines Landes präzise berechenbar.

Nun stellen Sie sich vor, Mustermanns Auto wäre gestohlen worden und er versuchte, dieses nachträglich zu versichern, um den Schaden ersetzt zu bekommen. Gelingt es ihm, die Versicherung in dem Glauben zu lassen, das Fahrzeug wäre noch da, begeht er Versicherungsbetrug. Die Institute lassen sich übrigens viel einfallen, um das zu verhindern: Sie lassen beispielsweise Fahrzeuge vorfahren und testen, bevor sie den Vertrag unterzeichnen.

Gehen wir einen Schritt weiter: Das Auto wäre weg, die Versicherung wäre von dem Diebstahl informiert worden, und trotzdem erklärte sie sich bereit, den Wagen so zu versichern, als gäbe es ihn noch. Diese Geschichte ist völlig absurd, denn sie endet mit einem sicheren Verlust.

Internationale Aufsicht

Eine Bankenunion ist eine Art von Versicherung. Da Großbanken international agieren und gleichzeitig mehrere Staaten betreffen (etwa Uni Credit), ist grundsätzlich eine internationale Bankenunion die beste Wahl. Eine solche besteht aus drei Teilen: Aufsicht, Restrukturierungsmacht und Einlagenhaftung. Die Aufsicht sollte zum Beispiel von vornherein verhindern, dass lokale Sparkassen einen absehbaren Immobilienboom, der früher oder später platzen muss, finanzieren.

Gibt es dennoch Verluste, können diese im Rahmen der Bankenrestrukturierung international besser abgefangen („versichert“) werden. Schließlich soll die internationale Aufsicht die Haftung für ihr Handeln übernehmen und sollte diese nicht an regionale Agenten verschieben (Prinzip der Identität von Kontrolle und Haftung). Selbst eine gemeinsame Einlagenhaftung ist aus ähnlichen Erwägungen vertretbar. Es ist richtig, dass in einer Währungsunion mit freiem Kapitalverkehr eine gemeinsame Bankenaufsicht ein konstitutives Element darstellt.

Vergemeinschaftung von Altlasten

Die Regierungschefs setzten Ende Juni den entscheidenden Schritt zur Gründung einer Bankenunion. Die Ausgangssituation ist aber diametral verschieden von der oben beschriebenen. Im Bankensektor sind nach dem vom Euro induzierten und inzwischen geplatzten Boom allein in den Schuldnerländern 9,2 Billionen an Bankschulden präsent (in etwa das Dreifache der öffentlichen Schulden!); ein erheblicher Teil davon ist absehbar uneinbringlich, nur Bilanzierungstricks verhindern derzeit, dass das volle Ausmaß bereits sichtbar ist.

Nun geht es einzig und allein darum, diese Verluste dem „Versicherer“ anzuhängen, also dem Steuerzahler im Euroraum, sprich in Deutschland, Finnland, den Niederlanden und natürlich in Österreich. Es handelt sich bei der Bankenunion für die Zahlländer um keine Versicherung, sondern um ein sicheres Verlustgeschäft in Billionenhöhe, dem wir sehenden Auges entgegentreten.

Vereinbart wurde, nach Etablierung des Aufsichtsmechanismus für Banken bei der EZB den ESM nach einem ordentlichen Beschluss die Möglichkeit zu geben, Banken direkt zu rekapitalisieren. Auf die erste Erweiterung der Kompetenzen des ESM zwei Tage vor seinem offiziellen Beginn haben wir schon gewartet – bietet er sich doch an, „unbehindert“ von nationalen Parlamenten zu handeln. Der ESM hat nun de facto eine Banklizenz, seine bevorzugte Gläubigerposition ist dahin. Man kann davon ausgehen, dass die von den Schuldnerländern dominierte EZB, sobald sie dazu ermächtigt ist, nicht nur zukünftige Verluste vergemeinschaften wird, sondern auch die Altlasten.

Die Verluste der spanischen Banken (es wird wohl kaum bei 60Milliarden bleiben) werden von den Gläubigern dieser Banken abgezogen, die Regierung in Madrid ist aus dem Schneider, und die Gläubiger des ESM halten den Schwarzen Peter. Es ist absehbar, dass die Bankenunion demnächst um die gemeinsame Einlagenhaftung erweitert wird. Auch die Hebelung des ESM ist realistischerweise zu erwarten, um den gigantischen Hunger der bankrotten Banken stillen zu können.

Salamitaktik der Schuldnerländer

Unabhängig davon erhalten spanische Banken bereits jetzt Geld aus dem ESM. Dies alles entspricht der Logik der Vorgehensweise im Euroraum, bei der sich die Schuldnerländern via Salamitaktik immer größere Stücke abschneiden.

Die Unverfrorenheit, mit der hier agiert wird, erstaunt nicht wenig – schließlich ist der Vertrag vom Deutschen Bundesverfassungsgericht noch nicht abgesegnet, übrigens auch noch nicht vom österreichischen.

Seit Jahren werden die fundamentalen Vertragsklauseln der Union bewusst gebrochen, die No-bail-out-Klausel wurde zerstört, die EZB kauft Milliarden an Staatsanleihen und ist nicht einmal bereit, den unkontrollierbaren Transfers über das Target-System endlich ein Ende zu bereiten. Jegliches Vertrauen, dass unsere Eigentumsrechte respektiert würden, ist reiner Selbstbetrug.

Die Akzeptanz der Bankenunion ist der zentrale Schritt, der Tür und Tor zur gemeinsamen Haftung von Bankeinlagen öffnet. Finnland hat sich dagegen verwehrt, seine Finanzministerin machte klar, dass das Land lieber den Euro verlassen werde. Wo steht eigentlich Österreich?

Zur Autorin


E-Mails an: debatte@diepresse.comEva Pichler (54) studierte Volkswirtschaftslehre in Wien und an der London School of Economics.
Sie war Universitätsassistentin an der Uni Graz, derzeit a.o. Professorin an der Wirtschaftsuniversität Wien. Ihre Spezialgebiete sind Wettbewerbsökonomie, Industrieökonomik, Sozialpolitik. [Privat]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.09.2012)

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