Rechtfertigt Gotteslästerung das Abfeuern von Panzerfäusten?

Gastkommentar. Blasphemie darf nicht zum Erfüllungsgehilfen für Gewalt werden. Gotteslästerung muss aus dem Strafgesetzbuch gestrichen werden.

Gotteslästerung ist keine Kunst. Blasphemie ist nicht lustig. Es gibt religiös motivierte Kunst, und es gibt Kunst mit religionskritischem oder sogar antireligiösem Hintergrund. Ob sie gut oder schlecht gemacht ist, liegt erstens im Urteilsvermögen des Betrachters und ist zweitens im Rahmen der Meinungsfreiheit und ihrer Ausübung völlig irrelevant.

Die künstlerische oder satirische Herabwürdigung religiöser Lehren, wie es im Strafgesetzbuch (§188) formuliert ist, gibt vor allem dann Anlass zum Ärger, wenn sie nicht gut exekutiert ist, unsere Aufmerksamkeit bindet und Zeit stiehlt. Doch im Rahmen der Meinungsfreiheit müssen wir Witze und Kunstwerke, die unser ästhetisches Empfinden verletzen, genauso ertragen, wie Religionen konträre Meinungen aushalten müssen.

2009 hat die Atheistische Buskampagne (www.buskampagne.at) mit dem Slogan „Es gibt keinen Gott“ auch in Österreich die Meinungsfreiheit auf die Probe gestellt. Die Reaktionen waren stellenweise heftig, aber der resultierende Diskurs – auch mit der katholischen Kirche –gar nicht unfruchtbar.

Trotzdem wäre ein Plakat mit dem Text „Es gibt keinen Allah“ kaum vorstellbar gewesen. Die Kritikfähigkeit der Religion des Friedens wird diesem Anspruch wiederholt nicht gerecht.

Strafrecht setzt die Grenzen

Selbstverständlich gibt es Grenzen – und zwar solche, die das Strafrecht setzt. Sollte jemand sich nach §283 (Verhetzung), §111 (Üble Nachrede) oder §115 (Beleidigung) schuldig machen, gibt es in unserem Rechtssystem die Möglichkeit, ein weltliches Gericht anzurufen. Selbstjustiz ist nicht vorgesehen.

Das Anzünden von Häusern oder ein Angriff auf Leib und Leben, weil sich jemand in seinen Gefühlen verletzt sieht, ist nicht gestattet. Es ist auch nicht erlaubt, stellvertretend die Eltern, Geschwister oder Arbeitskollegen zu lynchen. Genau das passiert aber in Libyen, in Pakistan und in anderen islamischen Ländern: „Wegen“ eines Films werden Gebäude verwüstet und Botschafter getötet. Die Gewalt richtet sich nicht einmal gegen den mutmaßlichen Verursacher, sondern gegen unbeteiligte Dritte, die in weitester Auslegung demselben Kulturkreis zurechenbar sind.

Proteste waren nicht spontan

Von einer spontanen Organisation der Proteste kann angesichts des Einsatzes von Panzerfäusten ohnehin keine Rede sein. Es ist offensichtlich, dass dieses Mohammed-Video, das vermutlich kaum einer der Aggressoren gesehen hat, nicht der wahre Grund für die Ausschreitungen der vergangenen Woche sein kann.

Es ist eine gottbeliebige Provokation, von der es wahrscheinlich mit einer schnellen Suchabfrage hunderte und tausende online zu finden gibt. Wo auch immer diese religiöse Zerstörungswut ihre Basis hat – dieses Video, das niemand an Leib und Leben Schaden zufügt, ist eine vorgeschobene Rechtfertigung für Gewalt.

Medial wird trotzdem nur eine Kurzversion nach dem Schema Stimulus-Response wiedergegeben. Hier Video, dort Mord. Gäbe es kein Video, gäbe es keine Gewalt. Der Schuldige ist schnell gefunden. Und nur weil die Meinungsfreiheit diese Gotteslästerung zulässt, muss sie ja nicht genützt werden, oder?

Wer nichts zu verbergen hat, wird sich an Überwachungskameras und Vorratsdatenspeicherung auch nicht stoßen. Aber diese Logik ist der Anfang vom Ende der Meinungsfreiheit!

Sämtliche Distanzierungen von den Gewaltakten erfolgen immer mit Hinweis auf das gotteslästerliche Video, das den „schlimmsten Angriff“ auf die Religion darstellt. Politik und Religion stolpern im Gleichschritt in diese blasphemische Denkfalle. Gestandene Männer werden in ihren religiösen Gefühlen so schlimm verletzt, dass sie nicht anders können, als Feuer zu legen? Wer glaubt das denn wirklich?

Es wird wohl so sein, dass es sich nur um eine kleine Gruppe von Gewaltbereiten und Extremisten mit politischen Zielen handelt. Aber Religionsvertreter müssen sich, solange sie selbst auf die Verletzung der religiösen Gefühle verweisen, die Frage gefallen lassen, was sie selbst zur Deeskalation beitragen.

Wo sind die Prediger, die die in ihren religiösen Gefühlen Verletzten seelsorglich betreuen und von der Gewalt abhalten könnten? Wo ist der Wille zur politischen Kontrolle der Situation? Stattdessen setzt ein Minister ein Kopfgeld auf die Ermordung des Produzenten des Videos aus.

Das Märchen von der Blasphemie

Hören wir mit diesem Märchen der Blasphemie auf! Wer Gott lästert, kommt doch sowieso in die Hölle. Wozu braucht es irdische Lynchjustiz und einen Paragrafen im Strafgesetzbuch? Wenn es keine Blasphemie gibt, dann ziehen wir jenen, die sich gewaltbereit darauf berufen, den Boden unter ihren wackeligen Argumenten weg.

Entfernen wir die vorgebliche Verletzung religiöser Gefühle aus dieser Gleichung – dann sehen wir, was übrig bleibt: ein Mob, der grundlos brandschatzt, und eine Religion, die nicht willens oder fähig ist, dem Einhalt zu gebieten.

Eine Religion und eine Gesellschaft, die selbstbewusst und gelassen Gotteslästerung in Kauf nehmen, können sich glaubwürdig und nachhaltig von diesen Ereignissen distanzieren. Österreich sollte mit gutem Beispiel vorangehen, hier ein Zeichen setzen und den grundrechtswidrigen Paragrafen 188 aus dem Strafgesetzbuch entfernen.

Zum Autor


E-Mails an: debatte@diepresse.comNiko Alm (*1975 in Wien) ist Unternehmer (Gründer und Geschäftsführer der Super-Fi Gruppe), Publizist (Herausgeber des „Vice“-Magazins) und engagierter Aktivist für die Trennung von Staat und Religion (zum Beispiel als Sprecher des Volksbegehrens gegen Kirchenprivilegien sowie als Gründer der Laizismus-Initiative). [Privat]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.10.2012)

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