Schmerz und Abwehr

Manfried Rauchensteiner nimmt bei seinem Marathon durch die Wiener Gedenklandschaft vieles nur sehr verschwommen wahr.

Nichts scheint schwieriger zu sein, als im derzeitigen Gedenkmarathon Schritt halten zu wollen.“ Mit diesem Satz führt Manfried Rauchensteiner in seinem Beitrag „Wem gehört, was war?“ im „Presse“-Spectrum (9.11.) seine Beschwerde über Veränderungen, insbesondere der Wiener Gedenklandschaft, ein.

Der Text ist an einer Stelle tatsächlich sehr persönlich, als der Autor moniert, dass er sich in den 1980er-Jahren nicht von den falschen Leuten habe vorhalten lassen wollen, geschichtsvergessen zu sein. Sonst finden sich seine persönlichen Ansichten leider stets nur zwischen den Zeilen.

Rauchensteiner zitiert andere, anstatt selbst Stellung zu beziehen. Es dominiert das von sich weisende „man“ oder „es“ („Auf dem Heldenplatz störte fast alles“). Besonders aussagekräftig ist die Passage, in der er schreibt, „man“ habe „die Partisanen-, Deserteurs- und Widerstandsdenkmäler zur Kenntnis nehmen müssen“.

Habe „zur Kenntnis nehmen müssen“? Da klingt Schmerz und Abwehr durch. Und außerdem: Wo er Deserteursdenkmäler gesehen haben will, bleibt im Unklaren. Es gibt sie nirgends – abgesehen von wenigen, oft versteckt liegenden Gedenksteinen. Also auch hier findet sich jene Uneigentlichkeit, die Rauchensteiners Text durchzieht.

Der springende Punkt

Das Deserteursdenkmal ist ohnehin der springende Punkt. Es entsteht nach einem Entschluss der Wiener rot-grünen Koalition am Ballhausplatz. Rauchensteiner formuliert Unbehagen, aber keine klare Kritik. Stattdessen zieht er das Register der Opferkonkurrenz: Auch andere NS-Opfergruppen könnten für sich in Anspruch nehmen, sich nicht im Weiheraum am Äußeren Burgtor wiederfinden zu wollen. Richtig, aber spricht das gegen ein Deserteursdenkmal auf dem Ballhausplatz? Opfergruppen gegeneinander ausspielen zu wollen verbietet sich grundsätzlich.

Rauchensteiner erwähnt auch die widerständigen Offiziere Bernardis und Szokoll. Beide mussten für ihre Teilnahme am „Tyrannenmord“ sterben. Das Denkmal für die Verfolgten der Wehrmachtjustiz wird auch diese Offiziere ehren, denn es wird kein Deserteursdenkmal im engeren Sinne.

Das Denkzeichen in unmittelbarer Nachbarschaft zum Heldenplatz wird den Verfolgten gewidmet sein. Auf Rauchensteiners Klage, dass das Wort vom Helden sich „als scheinbar anstößig erwies“, lässt sich erwidern: Sowohl das Konzept des passiven Helden, der für eine vermeintlich gute Sache leidet, als auch jenes des aktiven Helden, der gewissermaßen in der Vorwärtsbewegung für eben jene Sache den Tod sucht, sind aus gutem Grund nach 1945 diskreditiert. An ihre Stelle trat die Zivilcourage.

Auf dem Heldenplatz/Ballhausplatz hat Österreich im März 1938 seine staatliche Souveränität aufgegeben. Das Denkmal auf dem Ballhausplatz gehört deshalb dorthin, weil das NS-Regime Deserteure, „Kriegsverräter“ und „Wehrkraftzersetzer“ gnadenlos verfolgt hat.

Dr. Magnus Koch ist Generalsekretär für die inhaltlich-wissenschaftliche Betreuung des Wiener Deserteursdenkmals.


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("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.11.2012)

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