Kosaken, Slowenen, NS-Wirtschaft in Kärnten

Eine kritische Auseinandersetzung mit der Behandlung kontroverser zeitgeschichtlicher Streitfragen durch den Grazer Historiker Stefan Karner. Es riecht stets stark nach der Bereitschaft, der Macht und den Mächtigen die Reverenz zu erweisen.

Die britische Auslieferung von tausenden Kosaken samt den sie begleitenden Zivilisten an die Rote Armee im Sommer 1945 ist ein kontroverses Kapitel österreichischer wie britischer Zeitgeschichte.

In Österreich ist die Diskussion darüber durch zweierlei gezeichnet: eine Romantisierung der ausgelieferten Soldaten, die kein Interesse an ihren kriegsverbrecherischen Taten zulässt; eine schablonenhafte Betrachtung der Auslieferung selbst: auf der einen Seite die bösen Engländer, liiert mit den noch böseren Rotarmisten; auf der anderen Seite edle, antikommunistische, freiheitsliebende Opfer.

Der Grazer Historiker Stefan Karner steht fest in dieser Tradition. Seine wissenschaftlichen Schwächen aufzulisten wäre nicht schwer. Aufschlussreicher ist es allerdings, diese als Produkt einer bestimmten politischen und historiografischen Kultur in Österreich zu verstehen, die das Ausmaß der Verbrechen des Nationalsozialismus wenn auch nicht direkt leugnet, durch Aufrechnung mit alliierter Gräueltaten aber „entschärft“.

In seiner an der Uni Graz abgeschlossenen Dissertation analysiert Karner die Kärntner Wirtschaft während der NS-Zeit mit einer eigenartigen Mischung aus vordergründiger „Wertneutralität“ und Kärntner Stolz. Er schwärmt zum Beispiel über die Errungenschaften des Holzmagnaten Funder, dessen Firma „zur drittgrößten des Reiches auf dem Gebiet der Holzindustrie avancierte“.

„Sachliche“ Schlussfolgerungen

Um dies zu erreichen, hätte die Firma erhebliche technische Hürden für einen Ausbau überwinden müssen. Dann aber traf sie und damit die gesamte Kärntner Holzindustrie im März 1945 ein „harter Schlag“, als ihr durch Bombardierungen schwerer Schaden zugefügt wurde.

Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene kommen nur flüchtig vor. Etwas mehr Platz widmet Karner den zwangsweisen Aussiedlungen von Angehörigen der slowenischen Minderheit. Seine Schlussfolgerungen sind „sachlich“: „Die in die Aussiedlung gesetzten Erwartungen – ,Eindeutschung des Gebietes und Brechung des Widerstandes gegen das NS-Regime‘ – waren weit zu hoch angesetzt worden und erfüllten sich deshalb nicht. Im Gegenteil, die Aussiedlung bewirkte sogar eine Verschlechterung der ohnehin schon angespannten Lage.“

Über Kriegsgefangene und Fremdarbeiter merkt Karner an, dass die Qualität ihrer Unterkünfte „natürlich recht verschieden“ war. Allerdings erwähnt er nur das positive Beispiel von Baracken für französische Kriegsgefangene, die in „so tadellosem Zustand“ errichtet wurden, „dass noch im Jahre 1975 drei Baracken von Familien bewohnt wurden!“. Der Leser wartet auf ein negatives Beispiel, es kommt aber keines.

Lob von Albert Speer

In einem Nachwort knüpft Albert Speer lobend an Karners Sachlichkeit an. Karner habe ihm klargemacht, wie „wir in der Berliner Zentrale“ die Lage an der Basis falsch eingeschätzt hätten. Speers Lektion: „So notwendig es ist, industrielle Fertigung über die Verwaltungsgrenzen hinaus zentral zu steuern, so wichtig scheint es aber auch zu sein, die örtliche Initiative nicht einzuengen.“ Dass sich Speers Selbstkritik nicht auf andere Themen wie seine eigene Verwicklung in Kriegsverbrechen erstreckt, darf nicht wundern. Darüber wiederum, was den jungen Karner dazu bewog, Speers Unterstützung zu bewirken, kann nur gerätselt werden. Jedenfalls währte sie nicht lange, denn irgendwann vor Speers Tod im Jahr 1981 wurde sein Nachwort aus Karners Verweisen auf seine eigene Dissertation gestrichen, die Arbeit wurde also gleichsam „ent-Speer-isiert“.

Zu dieser Zeit waren die Kosaken noch nicht Karners Thema, auch wenn er als Kind anscheinend in seinem Heimatort (St.Jakob bei Völkermarkt) von den „Einschusslöchern eines der letzten Gefechte zwischen den Richtung Mittelkärnten durchziehenden Kosaken-Einheiten unter Hellmuth von Pannwitz und Tito-Partisanen“ stark beeindruckt war. In den 1990er-Jahren aber griff er das Thema der Kosakenauslieferung auf (in Großbritannien war inzwischen eine hitzige Debatte darüber ausgebrochen). Da entdeckte er auch eine neue moralisierende Diktion, die er für die NS-Wirtschaftsführer noch nicht hatte. Er stellte zum Beispiel fest, dass „der britischen Politik diese Aktion in Judenburg (Übergabe von Kosaken an die Rote Armee) gegenüber den Menschen in Osteuropa ein denkbar schlechtes moralisches Zeugnis ausstellte“. Von Wertneutralität keine Spur.

Karners Moralismus blieb allerdings selektiv. Er erstreckte sich jedenfalls nicht auf die Kriegsgeschichte der Kosaken-Kavallerie-Korps in Kroatien. Seine Kosaken hatten nichts gemeinsam mit jenen disziplinlosen Soldaten, deren Vorgehen laut dem deutschen Bevollmächtigten in Zagreb, Glaise von Horstenau, „bei ihrem Hang zum Alkohol, Plünderung und Schändung und ihrer Geringschätzung jeglichen Lebens, außer des eigenen (...) in der deutschen Kriegsgeschichte einen Vergleich höchstens noch im Dreißigjährigen Krieg findet“.

„Austrifizierte“ Kosaken

Karners Kosaken werden nicht nur verharmlost, sondern auch noch „austrifiziert“, um eine Solidargemeinschaft von österreichischer Gesellschaft und ausgelieferten Kosaken zu konstruieren. Die Grundlage dafür ist allerdings mager. Kosaken wurden wegen der Lebensmittelknappheit in Kärnten eher als eine Bedrohung empfunden. Ähnlich sieht es bei der späteren Auseinandersetzung um das Schicksal von „Displaced Persons“ aus Osteuropa aus. An einer Stelle verwechselt Karner sie mit den „altösterreichischen Volksdeutschen“, wo tatsächlich eine gewisse Sympathie vorhanden war.

Karners Behandlung der Kärntner Minderheitenfrage ist nicht weniger kritikwürdig. Obwohl selber slowenischer Herkunft, verharmlost er die Rolle deutschnationaler Lobbys wie des Kärntner Heimatdienstes, der 1958 massiven Druck auf slowenische Eltern ausübte, ihre Kinder nicht in den zweisprachigen Unterricht zu schicken.

In dem mehrbändigen Werk „Kärnten und die nationale Frage“ schreibt Karner: „Standpunkte zu verstehen, Verständnis einzuwerben – letztlich gegenseitiges Vertrauen zu schaffen – ist eine dringend notwendige (Voraus-)Investition zur Lösung der nationalen Frage in Kärnten.“ Gegen diesen tadellosen Gemeinplatz kann man im Prinzip nichts einwenden. Aber wie so oft: „The proof of the pudding is in the eating.“

Ob es um Kosaken oder Kärntner Slowenen geht, Karners Pudding riecht stark nach der Bereitschaft, der Macht und den Mächtigen die Reverenz zu erweisen. Unangenehme Fakten – ob über Kroatien 1943/44 oder Kärnten 1958 – gehören jedenfalls nicht dazu.

Zum Autor


E-Mails an: debatte@diepresse.comRobert Knight arbeitet als Historiker an der Universität Loughborough, England, mit Schwerpunkt österreichische Zeitgeschichte. 1989 sagte er im Verleumdungsprozess von Lord Aldington gegen Nikolai Tolstoy und Nigel Watts als Sachverständiger aufseiten des Klägers aus. Heute, Donnerstag, referiert er bei der Tagung „Zweiter Weltkrieg und ethnische Homogenisierungsversuche im Alpen-Adria-Raum“ in Klagenfurt. [Privat]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.11.2012)

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