Stürmt die Wagenburgen! Oder: Der Ruf nach anderen Politikern

Gastkommentar. Die Verdrossenheit der Menschen über die Art und Weise, wie sich ihnen „Politik machen“ gegenwärtig darstellt, wird immer größer.

Zu den Übungen der Demoskopie gehört die Frage nach dem Kanzler, den die Österreicher bei gebotener Gelegenheit wählen würden. Bemerkenswert ist dabei die Tatsache, dass gegenwärtig keiner der wahrscheinlichen Spitzenkandidaten annähernd jene Zustimmung erhält, die der jeweiligen Partei (noch) verblieben ist.

Dass das kein politisches Naturgesetz ist, bewies seinerzeit Franz Vranitzky, der in der persönlichen Präferenz der Wähler weit vor seiner Partei – der SPÖ – lag. Der Schluss liegt nahe, dass den handelnden Personen heute noch weniger zugetraut wird als den von ihnen vertretenen Parteien.

Milliardäre mit ihrer goldenen Regel, dass bestimmt, wer das Gold hat, deren Jünger geradezu sektenähnliche Unterwerfungsgesten praktizieren, sind dabei keine Alternative, sondern vielmehr Beweis für die Verdrossenheit der Menschen über die Art, wie sich „Politik machen“ derzeit darstellt. Der immer wieder zu hörende Ruf nach Experten ist nicht jener nach Fachleuten statt Politikern, sondern schlicht der Ruf nach anderen Politikern.

Alternative Modelle

Matthias Strolz hat mit seinen Neos ein alternatives Politikmodell entwickelt. Er ist überdies Verfasser des Buches „Warum wir Politikern nicht trauen. . .“ Darin findet sich eine Vielzahl von Handlungsanweisungen. Ich fürchte, die meisten Betroffenen haben das Buch nicht gelesen beziehungsweise nicht verstanden. Sonst gäbe es nämlich Politiker, die nicht:

• bei einem Budget einen Verfassungsbruch begehen – aus Furcht vor kommenden Landtagswahlen und die damit das Vertrauen der Bürger in die Rechtsordnung untergraben;

• die profunden Ergebnisse des „Österreich-Konvents“ zur Staats- und Verwaltungsreform ignorieren und damit Expertenarbeit diskreditieren;

• bei der Frage der Studiengebühr einen gesetzesfreien Raum provozieren und die Universitäten in ihrer Finanznot alleinlassen;

• in der Bildungspolitik vor gewerkschaftlichen Betonierern aus dem Lehrerbereich zurückschrecken und statt der Umsetzung internationaler Erfahrungen ideologische Scharmützel betreiben;

• die Forderung nach mehr Transparenz bei den Parteifinanzen zum Anlass nehmen, um Millionen Euro an Steuergeld in ihre Kassen mit der Ausrede umzuleiten, dies sei der Ausgleich für einen versiegenden Spendenfluss. Oder noch dreister: Dies entspreche dem Anspruch des Bürgers auf Information durch die Parteien;

• Untersuchungsausschüsse als Instrument parlamentarischer Mehrheiten betrachten, statt als Kontrollrecht von Minderheiten gegenüber Regierungskoalitionen;

• diese Untersuchungsausschüsse abwürgen und so die weitere Aufklärung von Inseratenaffären und Korruptionsfällen unterbinden;

• Klubzwänge zum mechanischen Abnicken von Regierungswünschen brauchen, statt eine Fraktionsdisziplin zu leben, die dem eigenen Gewissen Raum lässt;

• an einer Justiz festhalten, die an politische Weisungen gebunden ist, statt die Wahl eines Bundesstaatsanwaltes durch qualifizierte Mehrheit im Parlament zu ermöglichen;

• einen Beitrag zum Sparpaket ankündigen, in dem National- und Bundesrat verkleinert werden, um dann an den eigenen Abgeordneten zu scheitern;

• die Frage der Verteilungs- und damit Steuergerechtigkeit auf Millionärs-Bashing und Primitivformeln wie „Her mit dem Zaster, her mit der Marie“ reduzieren;

• Wahlgeschenke verteilen wie die erhöhte Pendlerpauschale, die nur Besserverdienenden echte Entlastung bietet und diese mit der hanebüchenen Erklärung verbinden, man könne sich das leisten, weil die Zinsen auf die Schuldenlast derzeit so niedrig seien;

• das Recht der Wählerschaft, Persönlichkeiten direkt zu wählen, verhindern oder einschränken, um nicht die Macht der Parteisekretariate auf die Listenauswahl infrage zu stellen;

• direkte Demokratie als lästige Randerscheinung und Einmischung in ihre Handlungsfreiheit empfinden statt als selbstverständliches Recht der Teilhabe einer selbstbewusster werdenden Zivilgesellschaft;

• eine Beteiligung der Bürger am politischen Geschehen durch eine Volksbefragung suggerieren, aber auf jede sachliche Information verzichten, keine Sicherheitsdoktrin vorlegen und die Frage nach den Kosten des jeweiligen Modells bewusst ungeklärt lassen.

• Sonst gäbe es Politiker, die gewählt werden, weil sie authentisch sind, die auf standardisierten Polit-Quak-Sprech verzichten und erstaunlicherweise auch das tun, was sie sagen, ohne dafür Spin-Doktoren zu engagieren oder Demoskopen zu bemühen.

Politiker, die wir uns wünschen

Anneliese Rohrer hat in der „Presse“ unter dem Titel „Die Suche nach talentierten Politikern beginnt mit der Reform des Wahlrechts“ („Quergeschrieben“ vom 24. 11.) kommentiert: „Wenn es außerhalb der Wagenburgen der etablierten Parteien [...] einen nationalen Konsens der Bürger gibt, dann diesen: Wir haben vielleicht die Politiker, die wir verdienen, aber nicht die, die wir uns wünschen. Der Ruf nach besserem politischen Personal, nach verbesserter Auswahl desselben, nach neuen Gesichtern [...] wird immer lauter.“

Dem ist nichts hinzuzufügen – außer dem Hinweis, dass bei dem von MeinOE initiierten Volksbegehren „Demokratie jetzt!“ (15. bis 22. April 2013) jeder Bürger die Möglichkeit hat, dem Ruf nach besserem politischen Personal Nachdruck zu verleihen!

Zum Autor


E-Mails an: debatte@diepresse.comWolfgang Radlegger (*1947 in Grödig) ist ehemaliger
SPÖ-Landesparteichef und Landeshauptmannstellvertreter
in Salzburg. Er ist Mitinitiator
der überparteilichen Demokratie-plattform MeinOE und Autor des programmatischen Buches
„Vom Stillstand zum Widerstand – Zeit zum Wandel“ (Verlag Brandstätter). [T. Zoetl]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.12.2012)

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