Christoph I. auf den Spuren von Joseph II.

Diözesanreform in Wien. Theologische Zweifel, pastorale Einwände, organisatorische Schwäche. Versuch in einem reformresistenten Land.

Christoph Schönborn hat ein Talent für große Formulierungen. Bei seinem traditionellen Medienempfang im Herbst hat er eine Diözesanreform angekündigt, die die „größte seit Joseph II.“ sein werde. Da horchten alle auf. Ein solcher Vergleich ist anspruchs- und widerspruchsvoll zugleich, denn die josephinische Kirchenreform hat in die katholische Kirche von Staatswegen massiv eingegriffen und sie dadurch tief geprägt.

Der Kaiser hat unter anderem die bis heute im Wesentlichen noch geltende Pfarrstruktur in Österreich geschaffen und darauf spielte der Kardinal an. Aus Filialkirchen wurden damals Pfarreien, viele Pfarren wurden neu geschaffen. Niemand sollte länger als eine Stunde zu seiner Kirche haben, so lautete die Zielsetzung – zu Fuß versteht sich.

Jetzt, 220 Jahre später, nimmt die Erzdiözese Wien von diesem Konzept einer flächendeckenden Pfarrstruktur Abschied. Es ist unterdessen auch schon weit weg von seiner ursprünglichen Absicht gleichmäßig verteilter Größen: Die kleinste Pfarre der Erzdiözese hat zweihundert Katholiken, die größte 12.000. In einem auf zehn Jahre angelegten Prozess soll nun eine völlig neue Struktur entstehen. Joseph II. gab sich für seine Reform nicht annähernd so lang Zeit.

Der Pfarrer bleibt der Pfarrer

Obwohl die Pläne längst bekannt waren und seit Jahren diskutiert werden – schon bei der letzten Diözesansynode vor vierzig Jahren waren ähnliche Vorstellungen im Gespräch – war die Überraschung groß. Vor allem darüber, dass der Kardinal den diversen kritischen Gruppen das Monopol auf das Wort „Reform“ entwunden hat und ihm seine eigenen Inhalte gibt. Sie wurden gewissermaßen auf dem falschen Fuß erwischt und tun sich mit einer Reaktion sichtlich schwer.

Das auch deshalb, weil sich ihre Analyse der Situation mit der des Erzbischofs deckt. Sollten die Reformpläne eine „Steilvorlage für die Pfarrerinitiative“ sein, wie es jemand formulierte, hat sie den Ball verpasst, jedenfalls aber nicht „verwandelt“.

„Viele örtliche, von Laien geleiteten Filialgemeinden bilden gemeinsam eine neue Pfarre, die von Priestern und Laien gemeinschaftlich unter der Letztverantwortung des Pfarrers geleitet wird“, so lautet der Kernsatz aus den „Leitlinien für den diözesanen Entwicklungsprozess“.

An der Person und der Funktion des Pfarrers, der eine kirchenrechtlich einmalig geschützte Position hat, wird also nicht gerüttelt. Nur sitzt er nicht (im ohnehin schon lange nicht mehr erreichten Idealfall) in jeder kleinen Pfarre, sondern an einem Zentralort mehrerer kleiner Gemeinden. Damit hängt eine beabsichtige Neuerung zusammen, die unter den Priestern für nicht wenig Unwillen gesorgt hat: Am künftigen Pfarrort wohnen mehrere („sinnvollerweise mindestens drei bis fünf“) Priester zusammen, einer davon ist der Pfarrer.

„Wenn ich das gewollt hätte, wäre ich in einen Orden eingetreten“, sagte dazu ein nicht unwichtiger Dechant. Ihm reiche es schon, wenn Gastpriester oder Pastoralpraktikanten in seiner Küche herumwerken.

Die Idee dahinter beschreibt Michael Prüller, Leiter des Erzbischöflichen Medienamtes so: „Wir haben nicht so sehr einen Priestermangel als vielmehr einen Pfarrermangel. Es ist heute etwas anderes, Pfarrer zu sein, als zu einer Zeit, zu der der Pfarrer als natürliche Autorität im Ort geachtet und sein Wort im Pfarrgemeinderat Befehl war.“

Gemeinschaftliche Leitung

Gefordert sei Führungsqualität, die nicht jeder Priester habe. Deshalb brauche man größere Einheiten, die von jenen geleitet werden, die diese Neigung und Fähigkeiten haben. „Für die wird es dann aber möglicherweise komplizierter, statt bisher 200 dann vielleicht 4000 oder 8000 Katholiken zu haben.“

Die Leitung der Pfarre wird „prinzipiell gemeinschaftlich wahrgenommen und zwar von Priestern und Laien. Es gilt partizipative Führung mit klarer Aufgabenzuteilung“ (Leitlinien). Wie sich jene starken Führungspersonen, die man sich als den künftigen Pfarrer vorzustellen hat, in eine solche Konzeption einfügen werden, wird man sehen.

Im Mittelpunkt der Reform steht aber eine neue und zugleich uralte Vorstellung von christlicher Gemeinde überhaupt: Die kleinen Filialgemeinden werden „in Gemeinschaft von Getauften und Gefirmten“, also von Laien, „ehrenamtlich geleitet“, sagen die Leitlinien, dort soll sich das eigentliche christliche Leben abspielen.

Basisgemeinden als Modell?

Als Schönborn das Reformkonzept präsentierte, schwärmte er geradezu von den „small christian communities“, er verwendete den Begriff sicher ein Dutzend Mal. Hier kommt des Kardinals Vorliebe für die neuen kirchlichen Gemeinschaften abseits der traditionellen Strukturen zum Vorschein, wie er sie aus Frankreich und Lateinamerika kennt.

Ob freilich eine lateinamerikanische Basisgemeinde als Modell für den Rest einer ehemals geschlossen katholischen Bevölkerung eines Ortes im Weinviertel geeignet ist, kann man bezweifeln. Die Kritik an den Reformplänen kommt von beiden Seiten des kirchlichen Meinungs- bzw. Bewusstseinsspektrums. Die sogenannten Reformbewegungen halten das Ganze nur für ein Ausweichmanöver, weil man sich an der eigentlichen Frage vorbeischwindle und die heiße: Wie kommen wir zu mehr Priestern?

Sorge um die Eucharistiefeier

Die Antwort kennt man aus den einschlägigen Forderungskatalogen: „Viri probati“ – bewährte Männer zu Priestern weihen, den Pflichtzölibat aufheben und Frauen weihen. Das alles steht bekanntlich nicht auf der Agenda der Weltkirche, von der Wien und Österreich ein Teil sind.

Die „Reformer“ vereint mit den „Konservativen“ die Sorge um die Eucharistiefeier am Sonntag, die nach Aussage des Konzils „Quelle und Höhepunkt des ganzen christlichen Lebens ist“. Wird sie nur in der Hauptkirche des künftigen Verbandes von Kleingemeinden stattfinden? So fragen die einen. Werden die sonntäglichen Wortgottesdienste in den Filialkirchen zu Pseudo-Eucharistiefeiern werden? So fürchten die anderen. Das sind schwerwiegende pastorale und theologische Fragen, die noch unbeantwortet sind.

Warten auf die Dechantentagung

Wie bei jeder einschneidenden Reform gibt es auch die zähe Obstruktion der Betroffenen. Es werde schon nicht so heiß gegessen werden, wie es gekocht wurde, denken sich manche und meinen, schon Zeichen ausgemacht zu haben, dass von den radikalen Plänen ohnehin „zurückgerudert“ werde. „Es wird richtig wienerisch ausgehen“, meint ein Skeptiker, „nach dem Motto: Den werden wir schon demoralisieren.“

Ein entscheidendes Datum wird die einwöchige Dechantentagung im Jänner sein, bei der Schönborn seine wichtigsten regionalen Führungsleute überzeugen und gewinnen muss. Wenn er die Widerstände überwinden und die Reform ernstlich umsetzen will, wird er wenigstens etwas von der Entscheidungskraft und dem Führungswillen seines kaiserlichen Vorgängers brauchen. Dann könnte er sogar in die Geschichte eingehen.


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("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.12.2012)

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