Worum es bei dieser „Volksverhöhnung“ geht

Die Volksbefragung am Sonntag zum Thema Wehrpflicht oder Berufsheer ist schlicht eine Frechheit! Ich gehe dennoch hin.

Vorweg eine Klarstellung: Ich bin für die direkte Demokratie und daher aktives Mitglied der Initiative „Demokratiereform und Mehrheitswahlrecht“. Aber ich bin auch dafür, dass gewählte Politiker ihre Arbeit tun. Und ich bin total dagegen, dass von mir gewählte Politiker, die von mir bezahlt werden, mir dann, wenn sie untereinander nicht zurande kommen, den ganzen Krempel herüberschieben und das „Macht euch den Dreck allein“ frech als Volksbefragung tarnen.

Weiß irgendjemand, worum es bei dieser „Volksverhöhnung“ eigentlich geht? Ich behaupte: „Nein“, nicht einmal die Fragesteller selbst. Geht es um die grundsätzliche Frage, warum das kleine Österreich im großen Europa überhaupt eine Armee braucht? Nein, darum geht es nicht.

Geht es um die Fragen, welche Aufgaben eine Armee heute hat und wonach dann die Organisationsform festzulegen ist? Nein, darum geht es nicht. Geht es vielleicht um die Frage Wehrpflicht oder Berufsheer? Darum geht es mit ziemlicher Sicherheit auch nicht, sonst würde man nicht mit einer skurrilen Fragestellung verdecken, dass man selbst nicht weiß, was geschehen soll, wenn etwas herauskommt.

Geht es vielleicht gar um die zuletzt diskutierte Wehrpflicht der Frauen? Nein, darum geht es überhaupt nicht, denn die Frauen entscheiden am 20. Jänner ausschließlich darüber, was ihrer Meinung nach für die Männer gut ist.

„Truppenübung“ vor Wahlen

Worum es in Wirklichkeit geht: Es geht einzig und allein um die Frage, welche Partei ihre Funktionäre und Mitglieder besser mobilisieren kann. Es geht darum, ob die ÖVP siegt oder die SPÖ. Eine „Truppenübung“ vor der Nationalratswahl im Frühjahr oder Herbst also. Ein Trainingsmatch vor dem nächsten Meisterschaftsspiel, in dem es um die Tabellenspitze geht.

Das nennen sie dann auch noch „direkte Demokratie“. Der legendäre sozialistische Bürgermeister von Wien, Helmut Zilk, hätte das mit Sicherheit „zum Kotzen“ gefunden und sich in die Reihe von Gabi Burgstaller und Franz Voves gestellt. Was soll ich also tun? Schmollen? Nicht hingehen? Weiß „wählen“? Nein, ich gehe auf jeden Fall hin und wähle das kleinere Übel, die Wehrpflicht. Warum?

Das kleinere Übel

1. Weil es das geringere Risiko ist. Stimmen die Bürger nämlich für die Wehrpflicht, dann muss das heutige Bundesheer, wie nun jetzt alle(!) versprechen, reformiert werden. Wenn dies nicht gelingt, gibt es immer noch zwei Möglichkeiten: ganz abschaffen oder in ein Berufsheer überführen. Stimmen die Bürger aber jetzt für ein Berufsheer, dann ist diese Entscheidung im Falle des Irrtums nicht mehr rückgängig zu machen.

2. Weil man einer Regierung, die sich scheut oder nicht fähig ist, zu einem Problem die richtigen Lösungen anzubieten, nur nach „Mensch ärgere dich nicht“-Manier zurufen kann: „Zurück zum Start!“ Macht zuerst ein ordentliches Gesetz, sagt offen, was ihr wollt, und begründet es ordentlich. Erst dann könnt ihr es mir zur „Volksabstimmung“ vorlegen.

3. Ich stimme für die Wehrpflicht, weil ich nicht will, dass die Sprachrohre des Populismus „Kronen Zeitung“, „Heute“ und „Österreich“ nach der Abstimmung die großen Sieger spielen, um so den Politstrategen vorzugaukeln, auf sie käme es bei politischen Entscheidungen an. Was diese wiederum, in völliger Verkennung der Tatsache, dass man eine gute Politik durch Medien nicht schlechtmachen und eine schlechte nicht schönfärben kann, verleiten würde, wieder tief in den Steuertopf für Gefälligkeitsinserate zu greifen.

Über der ganzen Volksbefragung hängt ein berühmter Helmut-Qualtinger-Spruch als Motto: „I waß zwar net, wo ich hinfoa, aber dafür bin i früher durt.“ Und genau das ist die Frechheit!

Kurt Bergmann (*1935) war 1976 bis 1980 Bundesgeschäftsführer der ÖVP und von 1990 bis 1994 Generalsekretär des ORF.


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("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.01.2013)

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