Fremde Heimat

In der islamischen Parallelgesellschaft erschlafft der Wille zur Partizipation und der Ehrgeiz, so zu werden wie die große Mehrheit der Österreicher.

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nders als klassische Einwanderungs staaten wie etwa die USA verfährt Österreich sehr großzügig, wenn es darum geht, Einwanderer kulturell einzugewöhnen. Jeder Assimilierungsdruck ist verpönt, die Verpflichtung zum Gebrauch der deutschen Sprache gilt als diskriminierend. In diesem Sinn werden Migrantenkinder zu Analphabeten in zwei Sprachen erzogen, um nicht in den Verdacht eines "institutionellen Rassismus" zu geraten.

Die Startposition junger Türken und türkisch-stämmiger Österreicher am unteren Ende der sozialen Leiter behindert den Einstieg in die Mehrheitsgesellschaft. Die Religion wird zum Fluchtpunkt vor vermeintlichen Demütigungen und konkreten Enttäuschungen. Die Bereitschaft zur Integration sinkt, Assimilation gilt als Verrat an Herkunft und Glauben - man taucht in eine Parallelgesellschaft ein und unter, in deren Moscheevereinen das Wort kaum der deutschen Sprache mächtiger Imame mehr gilt als die Anweisungen von Lehrern an einer Pflichtschule.

Muslimische Bruderschaften wie die Süleymancilar (Union Islamischer Kulturzentren), die türkisch-nationalistischen Ülkücüler (Idealisten oder auch Graue Wölfe), Milli Görüs (Islamische Föderation), Nurcular (Botschafter des Lichts), der saudischen Wahhabiten und andere mehr haben Österreich mit einem dichten Netz von Moscheevereinen überzogen, die sich eines regen Zuspruchs erfreuen und die Eckpfeiler der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich bilden.

Hier werden fundamentalistische Interpretationen des Islam verbreitet, radikale Botschaften gepredigt und die Rückkehr ins "Goldene Zeitalter" der ersten 400 Jahre nach dem Propheten Mohammed verheißen. Eine stark wachsende Zahl junger Muslime erblickt darin eine Art von Befreiung vom scheinbar rückständigen Glaubensverständnis ihres Milieus und vom Wertesystem ihrer neuen Heimat, in der sie sich missverstanden und ausgegrenzt fühlen.

"Es ist Zeit zu handeln", lautet die Devise des in Wien erscheinenden türkischen Massenblatts "Yeni Haraket" (Neue Bewegung), das der nationalistischen Bruderschaft Milli Görüs nahe steht. Ein EU-Beitritt der Türkei würde den "Rechten der Muslime in diesem Land" großen Schaden zufügen, heißt es darin. Die EU-Flagge sei ein Abbild des "Sternenkranzes einer Marienstatue", des Teufels mithin, der von den "christlichen Herren" während der Kreuzzüge im Kampf gegen die Muslime vorangetragen wurde. Die zwölf Sterne auf der EU-Fahne symbolisieren "die zwölf Stämme Israels", "die zwölf Tore Jerusalems" und "die zwölf Apostel".

Schenkt den Einflüsterungen der Nachkommen der Kreuzritter keinen Glauben, wenn sie uns weismachen wollen, "wir dürfen keine Parallelgesellschaft aufbauen, das heißt, der Muslim kauft nur in Geschäften von Muslimen, geht nur zu muslimischen Ärzten oder Anwälten". Glaubt nicht den scheinheiligen Reden dieser Leute, poltert ein Mohammad Yusuf Matuska, denn auch "die ganz Reichen wohnen in ganz bestimmten Gegenden".

In solchem Milieu erschlafft der Wille zur Partizipation und der Ehrgeiz, so zu werden wie die große Mehrheit der Österreicher. Das Institut für Höhere Studien lieferte im Herbst 2004 Zahlen, die das soziale Debakel der Muslime in Österreich dramatisch belegen: Drei Viertel der Türken haben nur einen Pflichtschulabschluss, bloß ein Viertel einen Lehrabschluss. Laut einer Umfrage des Sora-Instituts ist nur jeder fünfte türkischstämmige Zuwanderer an der österreichischen Innenpolitik interessiert - das ist die geringste Quote unter allen eingebürgerten Bevölkerungsgruppen. Die Arbeitslosigkeit ist bei Türken und türkischstämmigen Österreichern fast doppelt so hoch wie bei den alteingesessenen Österreichern.

Sozialforscher der Istanbuler Bilgi Universität ermittelten im Herbst 2004 die politischen Einstellungen der in Österreich lebenden Türken. Die allermeisten fühlen sich als Türken in Österreich, auch wenn sie die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen. 80 Prozent würden ihren Landsleuten daheim abraten, nach Österreich auszuwandern. Gleichzeitig glauben 70 Prozent von ihnen, dass die Immigration in die EU stark zunehmen würde, sollte die Türkei der Union beitreten.

Zu den Vorzügen Österreichs zählen sie die Sozialämter und das Gesundheitswesen (jeweils 20 Prozent), gefolgt von den Moscheevereinen (18 Prozent). Die Istanbuler Sozialforscher führen die Unzufriedenheit und die rasch wachsende religiöse Ausrichtung junger Türken in Österreich auf Arbeitslosigkeit und Ghettoisierung zurück.

meinung@diepresse.com Dr. Ernst Hofbauer, geboren 1941 in Wien, studierte Wirtschaftswissenschaften an der Uni Wien, ist Autor (u. a. "Unsere Klestils") und arbeitet derzeit an einem Buch über die islamistische Szene in Österreich.

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