Im Westen nichts Neues: Krachlederne Tirolität

Gastkommentar. Tirol kann doch kein Innsbruck werden: Das Farbenspiel der Landeshauptstadt als Vorbild für einen Machtwechsel im Land nach der Landtagswahl am 28.April bleibt eine Illusion. Die Volkspartei verliert doch keine Regionalbastion!

Forward“ – Obamas Slogan für die Wahlkampagne 2012 war nur ein müder Abklatsch jenes „Hope – Change – Yes wie Can“, das vier Jahre zuvor die Welt bewegt hatte. „Vorwärts Tirol“ – nicht nur der Name für die neue Partei ist ein mattes Plagiat des prägnanten Listentitels „Für Innsbruck“, der vor neun Monaten ganz Österreich interessiert hat.

Das Gesicht der in beiden politischen Gruppen führenden Christine Oppitz-Plörer spricht Bände: Befreites, rückhaltloses Strahlen bei der Wahl zur Bürgermeisterin am 29.April 2012, gezwungenes, schmallippiges Lächeln zur Präsentation der neuen Gruppierung am 16.Jänner 2013. Sie ahnt: Die große Chance ist vorerst verspielt.

Die große Chance ist das Vorbild der Landeshauptstadt, wo die 44-Jährige ihre politische Heimatpartei ÖVP in Opposition geschickt hat, um mit Sozialdemokraten und Grünen zu koalieren. „Für Innsbruck“, wie auch jene bürgerliche Abspaltung heißt, die hier seit 1994 – erst unter Herwig van Staa, dann Hilde Zach – regiert.

Umsturzfantasien blühen

Also blühen seit dem Frühling 2012 auch die umstürzlerischen Fantasien gegen die Landes-Volkspartei. Vor der Jahrtausendwende noch erfolgreich chauvinistisch zu „Wir Tiroler“ umgetauft, verliert sie zusehends an Integrationskraft.Schlimmer noch: Landeshauptmann Günther Platter geriet nach der Affäre um Jagdeinladungen, Rücktritt des Finanzreferenten und „How Do You Do“ zu Fußballer Alaba zur Zweitlachnummer der Kärnten-überdrüssigen Nation.

Unterdessen spürte ÖVP-Renegat Fritz Dinkhauser wieder Aufwind, dessen Liste 2008 auf Anhieb zur zweitstärksten Fraktion und schärfsten Opposition geworden war. Rot-Grün-Alternativschwarz als Ablöse der ÖVP-Bauernbund-Herrlichkeit schien plötzlich keine Utopie mehr. Vor allem Dinkhausers Nr. 2, der einstige Grüne Bernhard Ernst, schmiedete an einem solchen Bündnis.

Doch dann erholte sich der Ex-Minister als Vorsitzender der Landeshauptleutekonferenz durch geschickte Gegenpositionierung wider die Bildungspolitik seines ÖAAB, präsentierte eine Gesundheitsreform und spielte als Verteidiger regionaler Finanzhoheit den starken Älpler. Mit Frank Stronach betrat zudem ein Typus die politische Bühne, der national ein ähnliches Protestpotenzial wie Dinkhauser bedient.

Wenn Dinkhauser sich nun zurückzieht, bedeutet dies wohl das Aus für seine Liste und ebenso wahrscheinlich das Ende der Träume einer Landtagsmehrheit gegen Platters ÖVP. Denn Grüne wie Sozialdemokraten haben für die Wahl am 28.April zwar neues Spitzenpersonal, verfolgen aber ihr altes Ziel – Mitregieren als Juniorpartner der Volkspartei.

Von der Tirolität zur Urbanität

Genau das strebt auch die ausgerechnet nach dem linken Kampfvokabel „Vorwärts“ benannte neue, zutiefst bürgerliche Gruppierung an. Dass ihr Listenerster, Hans Lindenberger, ein früherer SP-Landesrat ist, täuscht. Dieser Mann sucht einen Parteikarren nicht aufgrund von Lackfarbe aus. Für die PS des Karrierevehikels sorgt ohnehin die weniger eitle Anna Hosp. Als einstige VP-Landesrätin hat sie viele Monate nach einer strahlkräftigen Nr. 1 gesucht, aber nur einen weiteren geschaßten Ex-Regierenden gefunden. Dass „Vorwärts Tirol“ die Patenschaft der nicht antretenden Innsbrucker Bürgermeisterin benötigt, beschreibt sehr gut die Attraktivität der wahren Kandidaten.

Das fügt sich gut zum personellen Gesamtspektrum der vielen Parteien, die um die 36 Sitze des Regionalparlaments kämpfen – und fünf bis acht Posten der Landesregierung. Seit 1999 wird sie nicht mehr nach Proporz bestellt. Die schwarz-rote Eintracht herrscht ohne das früher blau-grüne Zutun. Dies bescherte nicht nur Sozialdemokraten ihr historisch schlechtestes Ergebnis (15,5Prozent 2008) und Freiheitlichen (19,6Prozent 1999) wie Grünen (15,6Prozent 2003) deren bisher beste Resultate. Es förderte auch den regional größten Wahlerfolg einer wirklich neuen Liste in der Zweiten Republik: Fritz Dinkhauser (18,4Prozent 2008), den letzten Charismatiker der Ur-Tiroler Politik.

Nirgendwo sonst in Österreich sind der emotionale Landesbezug so stark und die gefühlte Bundesdistanz so groß. Also betont Günther Platter eine krachlederne Tirolität, wann und wo er nur kann. Christine Oppitz-Plörer dagegen wirkt als dienstleistende Prototypin einer nächsten Politikerinnengeneration. Die moderne urbane Antwort an eine traditionell ländliche Volksvertretung.

ÖVP und SPÖ auf dem Tiefststand

Schon Ende 2010 ergab eine tirolweite repräsentative Umfrage für die Bürgermeisterin bessere Sympathiewerte als für den Landeshauptmann. Heute wirkt die Innsbruckerin als stärkste politische Figur zwischen Lienz, Kufstein und Reutte. Sie zeigt, dass der ewige Stadt-Land-Konflikt nicht rural beantwortet werden muss. Doch sie hat weder Hausmacht noch steht sie zur Verfügung. Nach Präsentation von „Vorwärts Tirol“ prompt aus der ÖVP ausgeschlossen, bleiben Oppitz-Plörer nur ihre Abspaltung „Für Innsbruck“ und die Binsenweisheit: Nach der Wahl ist vor der Wahl.

Platter stellt sich erstmals einem regionalen Volksentscheid. Seine letzte Erfahrung als Spitzenkandidat war 1998 die Wiederbestellung zum Bürgermeister von Zams. Nun darf er das historisch schlechteste ÖVP-Landtagsergebnis von 40,5Prozent kaum unterbieten. Nicht nur das verbindet ihn mit Gerhard Reheis, einst Bürgermeister von Imst, der an der Spitze der SPÖ deren weiteren Absturz verhindern muss.

Künftig sechs Parteien im Landtag

Die Grünen peilen nach einem Generationswechsel mit Ingrid Felipe Platz2 und ein Rekordergebnis an. Die FPÖ dagegen stagniert um zehn Prozent – laut jüngsten Umfragen, die weder den Rückzug von Dinkhauser noch ein Antreten von „Vorwärts Tirol“ berücksichtigen. Es gibt auch noch ein Team Stronach, das gerade Selbstbeschäftigung mit Rechtsauslegern übt, Gurgiser, der auf seine Anti-Transit-Klientel vertraut – und überdies „Für Tirol“, die Neos, das BZÖ, die Piraten... Sechs Parteien im Landtag, drei in der Regierung: Das ist die gängigste Prognose.

Die spannendere Frage aber lautet: Welche ÖVP wird künftig regieren? Günther Platter droht das Schicksal seines Vorgängers, den er nach der Wahl entmachtet hat. Ausgerechnet dieser Herwig van Staa tritt nun in Innsbruck an; gegen wesentlich urbanere Kaliber wie den roten Thomas Pupp, den grünen Gebi Mair und den blauen Rudi Federspiel.

Wie schon bei seiner Kür zum Spitzenkandidaten (mit nur sieben von 17 Stimmen) kann der einstige Landeshauptmann, Bürgermeister und Obmann von „Für Innsbruck“ dabei nur verlieren – unter den Augen von Christine Oppitz-Plörer, die schon in zwei dieser Positionen seine Nachnachfolgerin ist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.02.2013)

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