Adoptionsrecht: Die Hysterie greift um sich

Gastkommentar. In der Debatte über das Adoptionsrecht für Homosexuelle geht es nicht mehr um Fakten, sondern um pure Ideologie.

Nach den vielen Reaktionen, die das Urteil des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) über die unzulässige Diskriminierung von homosexuellen und lesbischen Partnerschaften bei der Stiefkindadoption hervorrief, könnte man der Meinung sein, Österreich stehe unmittelbar vor dem moralischen Untergang.

Ein besonders abstoßendes Bild zeigt – wieder einmal – die FPÖ. Frau Berlakovich-Jenewein unterstellt bei der Diskussionssendung „Im Zentrum“ ziemlich unverblümt, dass die Bestrebungen von Anwalt Graupner nur dadurch motiviert seien, den Homosexuellen und Lesben vorpubertäre Kinder zur Ausübung pädophiler Neigungen zuzuführen („Ich frage Sie ja nur ...“). Die Lächerlichkeit des Auftritts dieser Dame war unüberbietbar und ein krasser Gegensatz zum souveränen Auftritt von Graupner. Hier hat sich Politik von ihrer abstoßendsten Seite gezeigt.

Machtgelüste der Mehrheit

Die Aussage, Gerichte sollten keine Politik machen, sondern dies den Politikern überlassen, zeigt ein furchterregendes Verständnis von der Verfassung. Der österreichische Verfassungsgerichtshof und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte schützen in Wahrheit die Menschenrechte vor allem der Minderheit vor den Machtgelüsten der Mehrheit, vor politischer Willkür der Politiker. Politiker (aller Farben, auch Rot und Schwarz, haben in der Vergangenheit ebenso oft wenig Respekt vor der Verfassung gezeigt) sollen nicht mit den Verfassungs- und Menschenrechten herumspielen, sondern diese als unantastbare Grenzen ihrer Tätigkeit begreifen.

Auch der Auftritt von Justizministerin Beatrix Karl war wieder geprägt von der üblichen Haltung der ÖVP: Nur so weit wir von Straßburg (EGMR) geprügelt (=verurteilt) werden, so weit gehen wir. Die geplante Aufrechterhaltung des Verbots der Fremdkindadoption nur aufgrund der sexuellen Orientierung wird in Straßburg ebenso fallen wie das Verbot der Stiefkindadoption. Aber: Man gewinnt wieder viele Jahre. Übersetzt: Man schikaniert die Homosexuellen und Lesben weiter sehenden Auges.

Aber auch die SPÖ und die Grünen sollen sich nicht gar so als die Wahrer der Verfassung aufspielen. Bei der Diskriminierung der (heterosexuellen) geschiedenen und getrennt lebenden Väter über Jahrzehnte haben sich diese Politiker auch in unnobler schweigender Zurückhaltung geübt, und die Reaktion auf ein verurteilendes Erkenntnis des EGMR war auch mehr kritisch als zustimmend.

Es geht um pure Ideologie

Längst geht es in Wahrheit von allen Seiten in Fragen des Adoptionsrechts nicht mehr um faktische Zustände, sondern um pure Ideologie. Kinder werden schon längst in homosexuellen Partnerschaften aufgezogen (und die Erziehungsergebnisse sind wenig überraschend völlig im Normbereich). Seit 17 Jahren werden in Wien – ohne Auffälligkeiten – Pflegekinder von homosexuellen Partnern betreut.

Die Hysterie, das Familienbild werde umdefiniert, ist ebenso unangebracht. Wenn sich im vergangenen Jahr ca. 350 Homosexuelle verpartnert haben, ist die Gefährdung der traditionellen Familie mit 38.500 Trauungen auch nicht zu erkennen. Ein Verbot der Ehe für Homosexuelle wird realistisch auch nicht eine heterosexuelle Ehe mehr hervorrufen.

Ungeachtet dessen ist auch eine Bitte an die Interessenvertreter der Homosexuellen und Lesben angezeigt. Man möge in der Diskussion nicht so tun, als wäre generell und nur die heterosexuelle Partnerschaft ein Gefahrenherd für Frauen und Kinder (als ob noch nie Frauen Partner oder Kinder umgebracht hätten) und als wäre die homosexuelle/lesbische Partnerschaft die einzig seligmachende Form der Verbindung zweier Menschen. Gegenseitiger Respekt ist von allen Seiten angebracht.

Der Autor ist Familienrechtsexperte und arbeitet in einer Anwaltskanzlei in Linz.


E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.03.2013)

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