Die Philharmoniker bewegen sich: Schritte in die richtige Richtung

Endlich sind ernsthafte Bemühungen erkennbar, die Verstrickungen des Orchesters in die NS-Diktatur aufzuarbeiten.

Der Historiker Oliver Rathkolb wird am 10. März den Namen jenes Mannes verkünden, der Baldur von Schirach nach dessen Entlassung aus dem Kriegsverbrechergefängnis Spandau im Jahr 1966 besucht und ihm ein Duplikat des bereits 1942 überreichten Ehrenringes des Orchesters überbracht hat. Das jedenfalls kündigte Rathkolb diese Woche spektakulär in der „International Herald Tribune“ an. Die Welt, zumindest die Wiener Musikwelt, wartet daher gespannt und wird nicht erstaunt sein, wenn es beispielsweise der ehemalige Orchestervorstand Wilhelm Jerger war.

Am 10. März werden wir also wissen, dass die „Wiener Ringparabel“ wahr und keine Erfindung ist. Wir werden erfahren, was seit Jahren kein Geheimnis mehr ist: Dass der jahrzehntelange Umgang der Verantwortlichen mit der Geschichte des Orchesters in der NS-Zeit und den Jahren davor ein Skandal war. Ich war nicht der Erste, der das in einem „Presse“-Gastkommentar im Dezember 2010 („Es klang wunderbar. Ganz judenrein!“) angesprochen hat.

Die Staatsoper beispielsweise hat sich schon viel früher der eigenen Vergangenheit gestellt. Im Jahr 2008 hat der damalige Direktor Ioan Holender dafür gesorgt, dass in der Ausstellung „Opfer, Täter, Zuschauer“ bedrückende Altlasten thematisiert wurden – die Vertreibung jüdischer Künstler, der NS-Postenschacher bis hin zu Änderungen des Spielplans. Was damals leider nicht zur Verfügung stand, waren Unterlagen aus dem Archiv der Philharmoniker.

Diskussion zeigt Wirkung

Immerhin hat die intensive Diskussion der vergangenen zweieinhalb Jahren einiges bewirkt: Am Sonntag wird die Philharmoniker-Dokumentation „Schatten der Vergangenheit. Die Wiener Philharmoniker im Nationalsozialismus“ von Robert Neumüller präsentiert. Themen sind die Entwicklung des Orchesters während der NS-Zeit und Bemühungen wie Versäumnisse bei der Aufarbeitung der Orchestergeschichte.

Sie bewegen sich also doch. Nach jahrelangem heftigem Widerstand sind das erste wichtige Schritte in die richtige Richtung.

Rathkolbs Kellerfunde

Vorbei die Zeit, als Rathkolb noch gemeint hat, „aus wissenschaftlicher Sicht“ sei das NS-Kapitel der Wiener Philharmoniker „längst abgeschlossen“: „Alles liegt auf dem Tisch!“ Hat inzwischen ein neuer Zeuge, laut Rathkolb ein „highly trustworthy and well-informed witness“, zu einer völlig anderen Einschätzung beigetragen?

Was freilich der „International Herald Tribune“ bisher zu entnehmen war, ist Altbekanntes – nämlich die Geschichte des Trompeters Helmut Wobisch: Geschäftsführer der Philharmoniker von 1954 bis 1968, zuvor NSDAP- und SS-Mitglied sowie Gestapo-Informant. Sie kann seit März 2008 auf Wikipedia nachgelesen werden.

Mehr Spannung versprechen da die von Rathkolb angekündigten „neuen Dokumente“, die er „vor Kurzem in einem tiefen Keller der Wiener Staatsoper“ ausgegraben habe. Dazu gehört die Korrespondenz von Wilhelm Jerger, nicht nur Philharmoniker-Vorstand, sondern auch NSDAP- und SS-Mitglied. Ob weitere Kellerfunde diesen Abstieg Rathkolbs gelohnt haben, wird sich weisen. Und das Thema Provenienzforschung? Bisher leider Fehlanzeige.

Dennoch ist immerhin eines klar: Was eine politisch und historisch interessierte Öffentlichkeit sowie viele Mitglieder der Philharmoniker schon lange wollten, kommt jetzt durch die Verantwortlichen in die Gänge: ein ungeschönter Umgang mit der Geschichte des Orchesters.

Dr. Harald Walser (* 18. 4. 1953) ist Germanist und Historiker, Direktor des Gymnasiums Feldkirch, Nationalratsabgeordneter und Bildungssprecher der Grünen.


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("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.03.2013)

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