„Bioethik – Nein, danke!“ Oder doch: „Bioethik für alle“?

In vielen Ländern Europas ist der breite öffentliche Diskurs über bioethische Fragen viel weiter entwickelt als in Österreich.

Vergangene Woche wurde die geplante parlamentarische Bioethik-Enquete abgesagt. Vorgesehenes Thema war auch die Umsetzung der Biomedizinkonvention des Europarates – eines Dokumentes, das Würde und Rechte des Menschen vor missbräuchlichen Anwendungen des biomedizinischen Fortschritts schützt.

Der Beitritt Österreichs ist ein Anliegen, das 2002 zur ersten Empfehlung der Bioethikkommission geführt hat und in der Regierungserklärung befürwortet wird. Bioethik ist nicht Selbstzweck im Elfenbeinturm, sondern geht alle an, dient der Reflexion bioethischer Prinzipien. Maxime dafür ist nicht das „eigene Lebensmodell“, sondern sind die anerkannten Prinzipien Benefizienz, Autonomie und Gerechtigkeit.

Ein breiter öffentlicher Diskurs bioethischer Fragestellungen ist in vielen Ländern weiter entwickelt als in Österreich. Auch sind Bioethikkommissionen stärker in die Gesetzgebung eingebunden. Der deutsche Ethikrat ist als „unabhängiger Sachverständigenrat“ von der Öffentlichkeit gesucht, auch die französische Bioethikkommission wird traditionell von den gesetzgebenden Körperschaften angehört.

Der Mensch im Mittelpunkt

Bioethikkommissionen behandeln Fragen, die der Beginn des Lebens aufwirft, sowie Fragen, die am Ende des Lebens stehen. Dazwischen liegt ein breites Spektrum. Es gilt, die Instrumentalisierung des Einzelnen zu verhindern, aber auch Rahmenbedingungen zu schaffen, die eine optimale Weiterentwicklung der Lebenswissenschaften und innovativer Behandlungsmöglichkeiten für den Menschen ermöglichen.

Auch Wissenschaft und Forschung sind nicht Selbstzweck. Der Mensch und sein Wohl stehen im Mittelpunkt. Ethisch hochstehende Forschung kann durch rasche Nutzung von neuen Therapien das Leiden von Patienten lindern, ist ein Indikator für die Modernität und sichert wirtschaftlich in Zeiten der Krise Arbeitsplätze und Prosperität.

Internationale Vernetzung

Die österreichische Bioethikkommission ist international vernetzt: Im März hat sie die Initiative zu einem Arbeitstreffen mit den Bioethikkommissionen Deutschlands und der Schweiz in Wien ergriffen. Im Juni 2013 wird mit der Unesco und Frankreich ein Kolloquium zum „Lebensende“ stattfinden. Unter den Rednern ist der Ehrenpräsident der französischen Bioethikkommission, Didier Sicard, der von Präsident Hollande beauftragt wurde, einen Bericht über die Haltung der Bevölkerung zu den komplexen Fragen des Lebensendes und des Sterbens zu verfassen.

Um den Diskurs über bioethische Fragestellungen nachhaltig zu fördern, hat die Bioethikkommission mit „Bioethik an Schulen“ ein Programm etabliert, das seit 2007 durchgeführt wird.

Die Bioethikkommission bemüht sich, das Thema Bioethik öffentlich voranzutreiben. Ziel muss sein, die 2010 in einem Eurobarometer-Report erhobene Ablehnung und Skepsis der österreichischen Bevölkerung in Bezug auf Wissenschaft zu bekämpfen. Damals haben 57Prozent angegeben, dass es im täglichen Leben unwichtig sei, etwas über Wissenschaft zu wissen – ein Wert, der die Rangliste der „europäischen Wissenschaftsskepsis“ anführt.

Doch alle Bestrebungen, den Diskurs in die Öffentlichkeit zu tragen, werden nur dann erfolgreich sein, wenn auch die gesetzgebenden Körperschaften hinter diesem Projekt stehen, wenn sie es unterstützen und wenn sie klar zum Ausdruck bringen, dass Bioethik unser aller Angelegenheit ist!

Dr. Christiane Druml ist Vizerektorin für klinische Angelegenheiten der Medizinischen Universität Wien und Vorsitzende der Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt.


E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.04.2013)

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