Auch der Unglaube ist letztlich nur ein Glaube

Um Halbglaubende und Nichtglaubende ins Gespräch zu bringen, ist eine Rückbesinnung auf das Zweite Vatikanische Konzil und dessen kritisch-konstruktiven Dialog mit dem Atheismus auch 50 Jahre danach noch immer lohnend.

Schon länger ist bekannt, dass das Verblassen des Gottesglaubens in der späten Moderne nicht zum Absterben von Religion geführt, sondern neue Formen von Religiosität freigesetzt hat. Die blühende Landschaft von Wellness und Esoterik war in den vergangenen Jahren ein Indiz dafür, dass der Abschied von Gott religiöse Praktiken keineswegs ausschließt.

Weichere Varianten der Gottlosigkeit schienen den kämpferischen Atheismus beerbt zu haben. Auf den Trümmern der atheistischen Systeme breitete sich eine „religionsfreundliche Gottlosigkeit“ (J. B. Metz) aus, die das Bedürfnis nach religiösem Wohlgefühl bediente, ohne sich um die intellektuelle Möglichkeit des Gottesglaubens näher zu kümmern. Bekennende Atheisten waren rar geworden. Dies hat sich geändert.

Neuer Ton im Streit um Gott

Ein neuer, zelotischer Ton bestimmt den Streit um Gott. Missionarische Atheisten fühlen sich berufen, den verbreiteten „Gotteswahn“ zu bekämpfen und eine Gegenkirche der soziobiologisch Aufgeklärten zu etablieren. Sie verkaufen die Entmythologisierung biblischer Erzählungen als Sensation, als habe es historisch-kritische Bibelwissenschaft nie gegeben.

Der Schöpfungsbericht wird – gut kreationistisch – als Theorie der Weltentstehung genommen, um dann effektvoll demontiert zu werden. Die Semantik der Gewalt in den biblischen Texten wird kritisiert, als seien nicht von Anfang an Lesarten ausgebildet worden, diese Sprache zu domestizieren und mit anderen Aussagen über die Barmherzigkeit und Liebe auszubalancieren.

Die Intoleranz des Eingottglaubens wird gegeißelt, als sei der Polytheismus ein idyllisches Biotop gewesen und die Gewaltlosigkeit Jesu eine Lüge. Der Glaube, dass der Atheismus künftig den Weltfrieden garantieren könne, wird als vernünftig ausgegeben, obwohl er jede geschichtliche Vernunft vermissen lässt.

Schließlich dürfen in der Kritik am Christentum Kreuzzüge, Inquisition und Hexenverfolgung nicht fehlen – in der Tat blutige Kapitel der Kirchengeschichte, die nicht zu beschönigen sind. Jedoch können sie nicht für das Ganze stehen.

Ähnlich einseitig fällt auch manche kirchliche Atheistenschelte aus. Die ungezügelte Autonomie des modernen Menschen trete im Unglauben offen hervor. Moralische Schrankenlosigkeit, hemmungslose Gier und dekadenter Zweifel seien Anzeichen wachsender Gottlosigkeit. Der Hinweis, nicht der Glaube, sondern der Unglaube habe die meisten Opfer in der Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts produziert, ist sicher richtig, erhält aber einen apologetischen Anstrich, wenn das eigene Versagen verschwiegen wird.

Historische Hypotheken

Dass es Erfahrungen gibt, die den Glauben an Gott zerbrechen lassen, bleibt manchen dickhäutigen Gottesstreitern verborgen. Auch entgeht ihnen, dass die historischen Hypotheken der Kirche, die Johannes Paul II. in seinen Vergebungsbitten freimütig bekannt hat, dem Glauben seine Glaubwürdigkeit nehmen können.

Angesichts des rüden Tons, der durch die Wiederkehr eines neuen Atheismus auch in Österreich Einzug gehalten hat, dürfte eine Erinnerung an das Zweite Vatikanische Konzil (1962–1965) schon deshalb hilfreich sein, weil es eine nüchterne Vermessung der Verständigungsmöglichkeiten zwischen Gläubigen und Nichtgläubigen vorgenommen hat.

Dem Programm einer dialogischen Öffnung folgend, hat das Konzil den Atheismus als eine „der ernstesten Gegebenheiten dieser Zeit“ gewürdigt und mehrere Spielarten des Atheismus unterschieden. Dort wird die auch heute verbreitete Ansicht aufgeführt, man könne überhaupt nichts Bestimmtes über Gott aussagen. Die Unbestimmbarkeit wird zur letzten Bestimmung gemacht, sodass dem Gottesbegriff jede orientierende Kraft verloren geht.

Weiter wird ein Atheismus genannt, der auf die methodische Grenzüberschreitung der positiven Wissenschaften zurückgeht – eine Position, die von einigen Vertretern des gescheiterten Volksbegehrens gegen Kirchenprivilegien lautstark vertreten wurde. Der empirische Zugang zur Wirklichkeit wird hier absolut gesetzt und Gott als vermeintlich „unwissenschaftliche“ Illusion entlarvt. Die Frage, ob Gott existiert oder nicht, ist allerdings „innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“ unentscheidbar, wie Kant betont hat.

Die Frage nach Mitverantwortung

Die aufgeklärte Vernunft bescheidet sich daher an diesem Punkt, während eine „Natur-Wissenschaftsgläubigkeit“ (R. Langthaler) sich überhebt, wenn sie Atheismus schlicht mit aufgeklärter Wissenschaft gleichsetzt. Neben der Stilllegung der religiösen Unruhe durch einen hedonistischen Lebensstil wird vom Konzil der moralische Protest gegen sinnloses Leid genannt, der den Glauben an einen gütigen und mächtigen Gott verwirft. Hier steigert sich die Klage Hiobs zur prometheischen Geste.

Bemerkenswert ist, dass das Konzil den Atheismus nicht verurteilt. Vielmehr wird nach der eigenen Mitverantwortung für die Entstehung des Atheismus gefragt und selbstkritisch herausgestellt, dass die Gläubigen „durch die Vernachlässigung der Glaubenserziehung, durch trügerische Darstellung der Lehre oder auch durch die Mängel ihres religiösen, sittlichen und gesellschaftlichen Lebens das echte Antlitz Gottes und der Religion eher verhüllen als offenbaren“ (Gaudium et spes, Art. 20).

Gesprächsangebot des Konzils

Diese Sichtweise ist beachtlich, wenn man sich die scharfe Verurteilung des Atheismus durch frühere lehramtliche Stellungnahmen vor Augen hält. Der Atheismus als Purgatorium des Glaubens und Anstoß für eine Gewissenserforschung der Kirche!

Umgekehrt lädt das Konzil Atheisten ein, „das Evangelium mit offenem Herzen zu betrachten“. Es hat damit ein Gesprächsangebot vorgelegt, das um einer menschlicheren Gestaltung der Welt auf Allianzen zwischen Gläubigen und Nichtgläubigen abzielt.

Die auftrumpfende Selbstgewissheit mancher Atheisten fällt allerdings hinter dieses Gesprächsniveau zurück und verdeckt, dass Ungläubige vor Zweifeln an ihrem Unglauben ebenfalls nicht sicher sind.

„Auch der Unglaube ist nur ein Glaube“, hat Arnold Stadler notiert – und Martin Walser sekundiert: „Wer sagt, es gebe Gott nicht, und nicht dazusagen kann, dass Gott fehlt, und wie er fehlt, der hat keine Ahnung. Einer Ahnung allerdings bedarf es.“

Um über Ahnungslosigkeiten hinauszukommen und Glaubende, Halbglaubende und Nichtglaubende ins Gespräch zu bringen, ist eine Rückbesinnung auf das Zweite Vatikanische Konzil und dessen kritisch-konstruktiven Dialog mit dem Atheismus auch 50 Jahre danach noch immer lohnend.

Zum Autor


E-Mails an: debatte@diepresse.comJan-Heiner Tück (*1967) ist seit 2010 Professor am Institut für Systematische Theologie der Uni Wien. Er ist Schriftleiter der internationalen katholischen Zeitschrift „Communio“
und freier Mitarbeiter der „Neuen Zürcher Zeitung“. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die Gottesfrage, das Gespräch zwischen Theologie und
Gegenwartsliteratur sowie das
Zweite Vatikanische Konzil. [Privat]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.05.2013)

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