Bulgariens vergebliches Warten auf einen Erlöser

Nach der Bulgarien-Wahl kann man sagen, was man davor schon wusste: Die Politikerklasse kennt keinen Weg aus der Krise.

Natürlich könnte man fragen: „Wen interessiert das schon?“ Oft genug schon hat man diese Frage gestellt – und das mit Recht. Denn die Dinge in Bulgarien nehmen ihren Lauf – so, wie es die Dinge wollen, und nicht so, wie es am besten für das Land sein könnte.

Es war aber auch nicht leicht, dieses Mal in Bulgarien zu den Urnen zu gehen. Dann man musste wählen zwischen qualvollem Ertrinken und langsamem Verhungern. Kein Wunder, dass sich da 50Prozent der Wahlberechtigten am 12.Mai gleich der Stimme enthielten. Wenn es um schlimme Sachen geht, die es zu verhindern gilt, klopft der Bulgare gerne auf Holz.

Diesmal hat es der Teufel trotzdem gehört, und er hat den Bulgaren das gelassen, was sie ohnedies schon hatten: gewissenlose, korrupte und arrogante Politiker. Wie konnte das nur passieren? So tönt es seit Tagen in den sozialen Medien. Seit Tagen hört dort das Analysieren, Diskutieren, Konstatieren und Jammern nicht auf.

Doch ist nicht die Politik immer so schlecht, wie man es ihr erlaubt zu sein? Wenn man eine bürgerorientierte Politik will, dann muss der Bürger auch eine solche fordern. Wenn man eine Politik will, die die Wirtschaft aus der Todesstarre herausholen soll, dann muss man eine solche verlangen. Wenn man kein unaufhörliches Opfer der Korruption sein will, dann darf man sich nicht mit ihr einlassen.

Große Versprechungen

Das alles hat sich jedoch die bulgarische Gesellschaft in den vergangenen 25 Jahren erspart. Man hat sich in den Jahrzehnten der kommunistischen Diktatur daran gewöhnt, das Vorgesetzte zu schlucken und das Nötigste zu erstehlen. Aber zu fordern, sein Recht zu verlangen – das hat sich in Bulgarien nie durchgesetzt.

Traditionell wartet der Bulgare lieber auf einen Erlöser – in der kommunistischen Ära auf Amerika, danach auf den Westen, jetzt auf die EU. Tatsächlich, Erlöser kamen viele, Ex-Könige, Ex-Kommunisten, Spezialisten, Professionalisten und Feuerwehrmänner: Sie alle kamen mit großen Versprechungen und offenen Taschen.

Bulgariens Medien wiederum haben zuletzt durch betont zurückhaltende Berichterstattung die kritischen Blicke der Bürger von den Mächtigen erfolgreich abgelenkt.

Keine Auferstehung Borissows

Bei den Wahlen 2013 blieb der Messias aus. Sieben Millionen politische Waisen versuchten, das Schlechte vom Schlechteren zu unterscheiden. Bojko Borissow, der letzte Erlöser, wurde von seinen eigenen, von Manipulation und Angst geprägten Strukturen ans Kreuz genagelt. Das Wunder der Auferstehung hat er bei den Wahlen nicht vollbracht.

Nach der Wahl kann man sagen, was man vor der Wahl wusste: Die alteingesessenen, wohlbekannten Politiker ohne Programme und Visionen werden – gleich in welcher Koalition und Konfiguration – das Land nicht aus der Krise und das Volk nicht aus der Verzweiflung führen können. Eine neue Gesellschaft muss zuerst neue Politiker erschaffen.

Solange Eltern nicht bessere Schulen, Kranke nicht bessere Behandlung, Jugendliche keine strukturierte Zukunftsvision fordern, so lange wird es immer ein Frosch sein, der das schläfrige Völkchen am Balkan wach küsst. Proaktiv sein, sollte das neue Bekenntnis Bulgariens lauten. In diese brandgerodete Region wird sich so bald kein neuer Hoffnungsträger verirren. Erlösen wird man sich also selbst müssen.

Ephgenia Hodkevitch, freischaffende Architektin sowie Mitbegründerin und Leiterin des AZS Architekturzentrum Sofia. Sie initiiert Stadtprojekte auf europäischer Ebene und engagiert sich für die nachhaltige städtebauliche und gesellschaftliche Entwicklung Bulgariens. Sie lebt und arbeitet in Wien und Sofia.


E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.05.2013)

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