Die große Ernüchterung nach der Energiewende

Gastkommentar. Die Energiepolitik im Chaos, Klimaziele wurden klar verfehlt. Es zeigt sich: Blinder Eifer schadet nur – wir müssen lernen, was möglich ist!

Der lange Winter ist vorbei, überall auf unseren Bergen ist in den vergangenen Wochen der Schnee geschmolzen. Die Donau und andere Flüsse des Landes führten deshalb sehr viel Wasser, auch die Stauseen in den Bergen füllten sich an.

Nach langer Pause exportieren wir seit Mitte April unseren Strom, und die Betreiber der Wasserkraftwerke können sich darüber freuen. Es ist wieder warm, es muss nicht mehr geheizt werden. Unser Wiener Stromversorger Wien Energie hat seine Gaskraftwerke, die nicht nur Strom, sondern auch Wärme erzeugen, abgeschaltet, denn um nur Strom zu erzeugen, dafür lohnt sich der Betrieb bei den hohen Kosten des Erdgases nicht.

Wien Energie kauft aus Kostengründen den Strom daher auswärts ein, vermutlich teilweise bei den verschiedenen österreichischen Wasserkraftwerkbetreibern, teilweise an den Strombörsen in Leipzig und anderswo. Wo genau, ist Betriebsgeheimnis – es herrscht ja heftige Konkurrenz zwischen den großteils im Besitz der öffentlichen Hand stehenden Energieversorgern.

Haben wir genug Wasser?

So weit ist die Welt für uns glückliche Österreicher in Ordnung, wir verstromen sauberes Wasser und, wenn wir doch einkaufen, dann bei Unternehmen, die ihre Treibhausgase woanders rausblasen, vor allem Braunkohlekraftwerke in Tschechien und in Deutschland.

Dafür brauchen wir nicht einmal die im Augenblick sehr billigen CO2-Zertifikate zu kaufen, denn die „Verdrecker“ sind ja die anderen, und der Dreck wird sicherlich um Österreich einen Bogen machen und unser Klima nicht schädigen.

Auf unserer Insel der „Glückseligen“ glaubt fast jeder Österreicher, jede Österreicherin, dass wir für sauberen Strom ohnedies genug Wasserkraft hätten. Das stimmt aber nur bis September. Da beginnt jährlich die umgekehrte Tour: Das Wasser in den Flüssen wird weniger, und wir müssen Strom importieren. Das ganze restliche Jahr über und bis März des nächsten Jahres, denn übers Jahr haben wir einfach viel zu wenig Wasser, um unseren Stromhunger zu befriedigen. Die Gesamtbilanz sieht fast immer trist aus: Wir kaufen Strom auf Teufel komm raus, was bleibt uns anderes übrig?

Weil wir besonders im Winter viel zu wenig Wasserstrom haben, verstromen wir importierte fossile Rohstoffe und importieren noch zusätzlich den europäischen Strom-Mix, den wir an der Strombörse kaufen, im Winter zeitweise 30 Prozent unseres Stroms. Und auch wenn er kein Mascherl hat, er kommt de facto aus den Ländern mit Kohle- und Atomkraftwerken.

Aber wir werden wieder auf die bösen Tschechen schimpfen, die nicht nur den wirklich sehr klima-schädigenden Braunkohlestrom, sondern auch noch zusätzlich Atomstrom produzieren, und davon ungefähr die Hälfte ihres Gesamtstromaufkommens. Und wir werden schimpfen, dass sie demnächst, wie ihr Präsident Miloš Zeman bei seinem jüngsten Österreich-Besuch bekräftigte, noch mehr davon produzieren wollen, um von den Braunkohlekraftwerken etwas abrücken zu können.

Euphorischer Traum vom Umstieg

In der Bundesrepublik Deutschland ist die Energiewende bald zwei Jahre alt, und die Ernüchterung, das Erwachen aus dem euphorischen Traum des Umstiegs in den Ökostrom ist mittlerweile eingetreten. Die deutschen Bürger murren bereits laut über die saftige Erhöhung des Strompreises.

In Österreich wirkte Wolfgang Anzengruber, der Chef des größten österreichischen Stromversorgers, des Verbunds, vor einigen Wochen bei der Hauptversammlung leicht verzweifelt mit der Klage über die seines Erachtens aus dem Ruder gelaufenen Förderung der norddeutschen Windkraft, die zu Verwerfungen in der Strompreisstruktur im gemeinsamen deutsch-österreichischen Großhandelsmarkt geführt hat.

Er beklagte auch das Not-Anfahren teurer klimaschädigender Dreckschleudern (Öl- und Kohlekraftwerke) als Ersatz für aus Preisgründen abgeschaltete, nicht ganz so schmutzige Gaskraftwerke. Anzengruber warf der Politik planwirtschaftliche Übertreibung vor bei der Förderung der Erneuerbaren, also des Ökostroms.

Überforderte Politiker

Ich sehe da Ähnlichkeiten mit dem Unwissen überforderter Politiker, das zum europäischen Finanzdesaster wegen Griechenland etc. geführt hat. Auf dem Energiesektor verschärft sich die Malaise sogar noch durch den Populismus von Politikern, die sich besonders „grün“ geben und möglichst oft ihr Foto in der Zeitung sehen wollen – bei der Eröffnung eines Windparks, bei der Installation von ein paar Solarpanelen. Überall herrscht auch spekulatives, optimistisches Wunschdenken über die künftige Entwicklung: „Sehr bald 100 Prozent Ökostrom“ – kommt Ihnen da nicht auch sogleich der Vergleich mit den Spekulanten in unseren Landesregierungen in den Sinn?

Meines Erachtens ist die Energiefrage um vieles ernster als die Finanzdesaster: Staatsbankrotte hat es immer und überall gegeben, in Griechenland sogar ziemlich regelmäßig. Die Energieproblematik dagegen ist etwas Erstmaliges. Daher haben wir noch viel weniger Gefühl dafür, wie sie zu handhaben ist. Und Politiker sollten sich besser überlegen, was sie anrichten, wenn sie den Bürgern 100 Prozent Erneuerbare bis demnächst versprechen.

Wie viel Ökostrom ist möglich?

Wie viel Ökostrom aber ist tatsächlich möglich? Leider wissen wir zu wenig, wie sehr ökologisch saubere und entwicklungsfähige Windkraft und Solarenergie letztendlich zu unserer elektrischen Energie beitragen können. Ob „Ökostrom“ das Benzin als Kraftstoff der Autos ersetzen kann und das Elektroauto tatsächlich möglich wird, ist mehr als unsicher.

Als Naturwissenschaftler tendiere ich zur Ansicht, dass meine jüngeren Kollegen da deutlich weniger herausholen werden können, als naive Politiker sich und uns einzureden versuchen: Sonne und Wind sind volatil und in unserem Mitteleuropa nicht überreich vorhanden. Sonnen- und Windstrom fließen also nur manchmal. Man müsste sie noch besser speichern können als es bisher in unseren beschränkten Hochgebirgswasserspeichern möglich ist, aber zu ausgereifter Speichertechnologie für jedermann ist es noch weit, vielleicht unendlich weit.

Es sprießen – wie immer in unsicheren Zeiten – traumwandlerische Projekte: der Wasserspeicher in oberösterreichischen Kavernen, ein riesiger Speicher auf der Koralpe etc. Besseres Verständnis der Zusammenhänge könnte Politiker und uns ökogläubige Bürger vor kostspieligen, klima- und landschaftzerstörenden Fehlern bewahren, vor Wunschdenken und Scharlatanerie.

Vielleicht hilft ja rigoroses Energiesparen, ich kann es bloß nicht glauben. Und selbst wenn der/die Einzelne asketischer wird: Dass unsere Wirtschaft aus Energieersparnis ihre Produktion ins Kern- und Kohleenergie-freudige China auslagert – das wollen wir ja nicht unbedingt.

Zum Autor


E-Mails an: debatte@diepresse.comGero Vogl ist seit 2009 emeritierter ordentlicher Professor für Physik an der Universität Wien; er ist Materialforscher. Im Sommersemester hält er zusammen mit Experten aus der Energiewirtschaft auf den Gebieten fossiler Rohstoffe, Wasser-, Wind- und Solarstrom an der Uni Wien die Vorlesung „Woher kommt unser Strom wirklich?“ [Privat]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.05.2013)

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