Negative Auffälligkeit: Wiener Börsedümpeln

Gastkommentar. In Österreich fehlt nach wie vor die gründliche Verankerung eines fairen und konsequenten Wettbewerbsdenkens in der politischen Kultur und in der Gesellschaft. Die Börse – als ein transparenter Marktplatz – zeigt dies in aller Schärfe.

Vor sechs Jahren, ganz genau am 9. Juli 2007, durchbrach der Wiener ATX-Index die 5000er-Marke für wenige Stunden. Derzeit dümpelt der ATX kümmerlich dahin, liegt bei etwas über 2200 Punkten. Der amerikanische Dow Jones und der deutsche DAX haben die Höchststände der Vorkrisenära vor 2008 im Jahr 2013 wiederum erreicht, der Swiss Market Index SMI erreichte im ersten Halbjahr 2013 immerhin 75 Prozent des Vorkrisenniveaus. Die negative Auffälligkeit des Wiener ATX sticht also hervor.

Nun kommt nicht alle Tage ein Börsenguru, wie Jim Rogers Mitte der 1980er-Jahre, um die Wiener Börse wachzuküssen. Überhaupt müsste ein solcher externer Anstoß durch konkrete Ertragskraft der Unternehmen, exzellente Management-Performance und Standortattraktivität in die Nachhaltigkeit überführt werden.

Am Gängelband der Politik

Womit wir beim Kern des Problems angekommen sind: Offenkundig schafften die im ATX repräsentierten Flaggschiffe der österreichischen Wirtschaft es nicht, die notwendige Faszination auf Investoren auszuüben. Da treffen die Schatten auch die Entstaatlichungs- und Privatisierungspolitik früherer Bundesregierungen, die Unternehmen weiter am Gängelband der Politik baumeln lassen.

ATX-Unternehmen im Einflussbereich der öffentlichen Hand – wie OMV, Verbund, Telekom Austria, EVN – beeindruckten weder durch Managementbrillanz in der strategischen und operativen Führung der Unternehmen noch durch betriebswirtschaftliche Performance. Die Börse als transparenter Marktplatz transportiert solche Phänomene unmittelbar und in aller Klarheit.

Die Flügel der Osteuropa-Investments sind offenbar auch lahm geworden. Im Bankenbereich hat sich ein gefährliches Klumpenrisiko angesammelt, das dem Steuerzahler insgesamt als mögliches Belastungspotenzial entgegenblickt. Und die Expansionswut in der Realwirtschaft kann sich in einen Malus drehen, wie der Konkurs der – zwar nicht börsenotierten – Alpine deutlich vermittelte. Doch auch börsenotierte Firmen können mit nicht beherrschten Investitionen im Energiebereich, Anlagenbau in Moskau und verlustträchtigen Unternehmensaufkäufen aufwarten.

Die Osteuropa-Expansion, die in vielen Fällen die Jahresabschlüsse vergangener Jahre behübscht hat, stellt sich nun in vielen Fällen als gigantischer Rückstellungsbedarf und kurzfristige Sorge ein. Dass die Attraktivität der Börse von Warschau gerade im Begriff ist, jene von Wien zu überflügeln, komplettiert das Bild eines von der schwachen Regierungsperformance zunehmend beschädigten Wirtschafts- und Finanzplatzes Österreich.

Erbarmungslose Börsesprache

Die Erfolgsrechnung der österreichischen Expansion nach Mittelosteuropa ist noch genauso wenig geschrieben wie die der Exportkonjunktur in die Schuldner-Problemstaaten des Südens der Eurowährungszone. Die Ergebnisse könnten in beiden Fällen noch negative Überraschungen bringen.

Die Börse spricht eine erbarmungslose Sprache: Der Verbund kannte einen Höchststand von 60 und liegt heute bei unter 15, die EVN einen Höchststand von 50 und notiert derzeit unter zehn, die Telekom einen Höchststand von 21,50 und notiert derzeit unter fünf.

Multiples Politikversagen

Die Konzeptionsschwäche der österreichischen Wirtschafts- und Finanzpolitik ist schon lange in der Realität angekommen. Ein Börsenjubiläum, das uns daran erinnert, dass die Bestzeiten des Aktieninvestments nun schon sechs Jahre zurückliegen, sollte uns zentrale Fragen in Erinnerung rufen.

Dass die Regierung Schüssel/Grasser einst die Stärkung der Altersvorsorge über ein mit staatlicher Prämie gefördertes Aktiensparen in Gang setzte, wobei vorzugsweise an der Wiener Börse investiert werden muss, ist inzwischen zur Sorge von 1,6 Millionen Österreichern geworden.

Dass Schüssel/Grasser vor zehn Jahren in Antizipation des unmittelbar bevorstehenden Aktienbooms bis 2007 das Hohelied der kapitalmarktorientierten Daseinsvorsorge sangen, diese dann – wie sich inzwischen zeigt – katastrophal umsetzten, erinnert uns daran, dass multiples Politikversagen keinesfalls ein Privileg der gegenwärtigen Regierung ist.

Die Wiener Börse leidet natürlich unter der wirtschaftsfeindlichen Grundhaltung der Regierung. Zudem ist das regulatorische Umfeld suboptimal, wenn man an erweiterungswürdige Bestimmungen im Bereich des Veranlagungsspielraumes für Versicherungen und Pensionskassen denkt. Zentrales Problem ist die Außenwahrnehmung „ver-wienerter“ Verhältnisse in halbstaatlichen Unternehmen, wo der Staat es nicht lassen kann, seine macht- und personalpolitischen Spielchen zu treiben.

Was Österreich fehlt, und dafür ist die Börse ein unmittelbarer Indikator, ist eine gründliche Verankerung eines fairen und konsequenten Wettbewerbsdenkens in der Politik- und Gesellschaftskultur. Konfliktverläufe, die den Kompromiss schon von vornherein kennen, und Regierungsparteien, die in ihrer Tagesarbeit von einem extremen Klienteldenken geleitet sind, schaffen das Biotop eines wirtschaftsdestruktiven Klimas. Da können hervorragend agierende Unternehmen nicht darüber hinwegtäuschen, die von Politikern im Zuge eines entwürdigenden Trittbrettfahrens als Beweis für eine gute Wirtschaftspolitik herangezogen werden.

Marktbereinigung wäre dringlich

Die Hypo-Group als Problemkind der Finanzwirtschaft und der Alpine-Konkurs führen uns suboptimale Politik beispielhaft vor. Für Finanz- und Baubranche ist schon seit Jahren bekannt, dass Überkapazitäten nach Marktbereinigung rufen. Das notwendige Re-Design der Branchenaufstellung lässt aber ebenso seit Jahren auf sich warten.

Ein Wirtschaftsministerium, das mehr an eine Außenstelle der Wirtschaftskammer in der Bundesregierung erinnert, und ein Finanzministerium, das sich offenbar schwer tut, die Regulierung der Banken in den Griff zu bekommen, verwalten Unternehmenskrisen bestenfalls im Szenario eines „learning by deficit“. Das ist aber nicht jene Politik, die Voraussetzung wäre, um den notwendigen Wandel der Rahmenbedingungen zu realisieren, nach welchem innovationsbereite Unternehmen – und solche haben wir ja – verlangen.

Wie lange wollen wir es uns noch leisten, klare Informationen des Marktplatzes Börse zu ignorieren? Wir brauchen eine Börse, die uns klar mitteilt, dass Ertragskraft und Profite die Unternehmen kennzeichnen. So warten über eine Million Pensionisten auf kleine Zusatzpensionen aus Vorsorgekassen und Zukunftsvorsorge. Ihre Übergangsbestimmungen sind keineswegs so großzügig bemessen wie die Übergangsbestimmungen bei den Politikerpensionen.

Zum Autor


E-Mails an: debatte@diepresse.comDr. Bernhard Löhri, (* 1953) absolvierte die Wirtschaftsuni Wien. Die beruflichen Stationen konfrontierten ihn mit Fragen der Managementaus- und -weiterbildung und der Organisationsentwicklung in Management und Politik – national und international; Letzteres im Rahmen von Missionen des Rates der EU auf dem Westbalkan. [Privat]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.07.2013)

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