Österreicher und Deutsche: Nachbarn als zwei fremde Wesen

Die jüngsten Parlamentswahlen zeigen die großen Unterschiede in beiden Ländern.

Was trennt Deutsche und Österreicher? Die gemeinsame Sprache? Ja, aber nicht nur. Seit den jüngsten Parlamentswahlen wissen wir, der deutsche Wähler hat mit dem österreichischen so viel gemein wie ein ICE mit der Liliputbahn.

Die vor allem in Österreich kultivierte Rivalität zwischen beiden Ländern scheint zwar mittlerweile überwunden. Aber die unterschiedlichen Mentalitäten sind offenkundig – und manifestierten sich auch in den Wahlgängen in beiden Ländern.

Die Deutschen wählen nicht nur anders, sondern sie denken offenbar auch anders. Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel hat zwar manche milde Gabe versprochen, aber beschworen hat sie vor allem Fleiß, Durchhaltevermögen und technischen Fortschritt – und wurde belohnt.

Deutsche und Österreicher verdienen zwar im Durchschnitt ähnlich gut, aber in Deutschland geht's im unteren Drittel härter zu. 25 Prozent der Deutschen arbeiten laut EU im Niedriglohnsektor, in Österreich sind es nur 15 Prozent. Die SPD fordert einen gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro, die CDU nicht.

Durchaus flauschig muss einem Deutschen auch Österreichs Pensionssystem vorkommen. Unter Merkel beschlossen CDU und SPD einst gemeinsam die Rente mit 67 – für Männer und Frauen. Trotz alledem wählten 41,5 Prozent die Union.

Österreich ist linker

Die deutschen Sozialdemokraten haben zwar nur 1,4 Prozent weniger als die SPÖ geholt. Doch der rote Paarlauf sagt wenig aus, wenn man bedenkt, dass Werner Faymann (SPÖ) und Heinz-Christian Strache (FPÖ) sich einen Wettstreit als soziale Herzenswärmer der Nation lieferten. Gemeinsam könnten sie in Österreich theoretisch regieren. Auch Österreichs Grüne hängten ihre deutschen Parteikollegen ab. Österreich ist, salopp gesagt, linker.

Die CSU schaffte bei der Bundestagswahl fast 50 Prozent, aber die christliche Prägung Bayerns allein kann den Wahlerfolg nicht erklären. Selbst in Berlin, der Hauptstadt der Konfessionslosen, wählten mehr Prozent CDU als in Vorarlberg bei der Nationalratswahl die ÖVP.

Wählen mit geballter Faust

Österreichs Wähler haben mit FPÖ, BZÖ und Team Stronach drei Anti-Euro-Parteien auf gemeinsam 30 Prozent gehievt. In Deutschland verbuchte Günther Jauch die 4,7 Prozent für die „Alternative für Deutschland“ schon als halbe demokratische Katastrophe, in Österreich zuckt man gleichmütig die Schultern.

Die Deutschen scheinen irgendwie sachlicher zu sein, nicht nur beim Wählen. Sie sind vermutlich realistischer, effizienter sowieso. Effizienz kann freilich auch nerven.

Das Klischee vom Deutschen, der solide Autos baut und im Urlaub die Sau rauslässt, ist kaum von der Hand zu weisen. Wer gesehen hat, wie schamhaft die CDU-Granden in Berlin gefeiert haben, weiß, dass Klischees auch stimmen können. Gottfried Benn schrieb vor bald hundert Jahren über das Wesen des typisch deutschen Handelsreisenden: „Froh sein, wenn man täglich den vorgeschriebenen Umsatz erreicht, wenn man abends nach getaner Arbeit zufrieden die Stiefel vor die Tür stellen kann.“

Wie lassen sich die Wahlsiege von CDU und FPÖ deuten? Um es schrecklich zu vereinfachen: Der deutsche Wähler scheint sich zu denken: „Unsere Industrie und unser Sozialstaat sind in der Defensive. Da muss ich jetzt durch!“ Der österreichische Wähler hingegen: „Wir sind in der Defensive? Das darf doch nicht wahr sein!“ Der Deutsche spuckt vor der Stimmabgabe in die Hände, der Österreicher wählt mit geballter Faust im Hosensack.

Lukas Kapeller (29), geboren in Wien, lebt als freier Journalist in München. Er schreibt unter anderem für die Österreich-Seiten der Hamburger „Zeit“.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.10.2013)

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