Österreichische Hinterzimmerpolitik führt zur Erstarrung

Höchste Zeit, dass im Parlament wieder ernsthaft diskutiert wird.

Schon vor Weihnachten gab es die Bescherung: eine Große Koalition und somit eine Fortschreibung der österreichischen Realverfassung. Wie die ausschaut? Entscheidungen fallen nicht in den dafür vorgesehenen Ausschüssen, sondern in Parteizentralen – oder wenn Pröll und Häupl zum Heurigen gehen.

Ein Beispiel: Bei der Beschlussfassung zum neuen Lehrerdienstrecht meldete sich Minister Josef Ostermayer zu Wort und meinte in meine Richtung, er kenne mich als jemanden, der daran „interessiert ist, Lösungen zu finden“. Er sei aber verwundert, dass ich in Sachen Dienstrecht ein unrealistisches „Zurück an den Start“ gefordert habe. Warum unrealistisch?

Unser Vorschlag für ein neues Dienstrecht auf Basis eines flexiblen Jahresarbeitszeitmodells ist ein realistischer Ausweg aus der Sackgasse. Er wurde von den Experten im zuständigen Ausschuss begrüßt, sogar Fritz Neugebauer griff ihn auf – leider erst in seiner letzten Rede im Parlament.

Wieso also soll der Vorschlag „unrealistisch“ sein? Ostermayers Wortmeldung verweist indirekt auf ein zentrales Problem unserer Demokratie: kaum parlamentarische Auseinandersetzungen, Ausschüsse als Abnickeinrichtungen und mangelhafte Arbeitsbedingungen für Abgeordnete. Das Ergebnis jahrzehntelanger konsensualer Hinterzimmerpolitik liegt wie ein bleierner Schleier über Österreich.

Verunsicherte Großparteien

Die sozialpartnerschaftliche Macht ist zwar im Schwinden, aber immer noch stark genug, um Reformvorhaben zu verhindern. Ihr schleichender Bedeutungsverlust aber hat die „Großparteien“ massiv verunsichert. Sie spüren: Da geht eine Epoche zu Ende! Und ante portas droht das blaue Ungemach. Ist die FPÖ als demnächst stärkste Partei noch zu verhindern? Nicht, wenn es so weitergeht!

Und die Opposition? Die Opposition gibt es nicht, zu unterschiedlich sind die weltanschaulichen Grundsätze. Aber eine Gefahr besteht für alle: vorschnelles Skandalisieren, inflationäres Bemühen der Staatsanwaltschaft statt die politische Auseinandersetzung voranzutreiben oder das andauernde Einfordern parlamentarischer Untersuchungsausschüsse tun der Demokratie nicht gut. Und es sind vor allem nicht gerade vertrauensbildende Maßnahmen.

Eine vertane Chance

Wir brauchen ein selbstbewusstes Parlament, in dem ernsthafte Diskussionen stattfinden, in dem es ein Ringen um Lösungen gibt und keine Diktate aus Länderzentralen, Parteisekretariaten oder Kammern. Wir brauchen ein Parlament, das den Abgeordneten die notwendigen Rahmenbedingungen bietet. Eine Minderheitsregierung mit wechselnden Mehrheiten hätte eine Entwicklung in diese Richtung einleiten können. Die Chance wurde vertan.

Ostermayer hat sich in seiner Rede auf eine positive Erfahrung bezogen: das Gesetz zur Rehabilitierung der Opfer des Unrechtsregimes der Zwischenkriegszeit. Ich füge das Gesetz zur Rehabilitierung der Wehrmachtsdeserteure hinzu.

Mit Persönlichkeiten wie Barbara Prammer, Fritz Neugebauer oder Josef Ostermayer konstruktiv an Lösungen arbeiten zu können und schlussendlich bei ideologisch schwer aufgeladenen Themen zu einem für alle Beteiligten befriedigenden Ergebnis zu kommen, war ein Erlebnis und ein kleiner parlamentarischer Lichtblick, der eigentlich die Regel sein sollte.

Geschätzter Josef Ostermayer: Solche Diskussionen gibt es aber in der politischen Realität Österreichs nur bei Nischenthemen. Wir sollten sie als gewählte Volksvertreter in sämtlichen Bereichen führen. Daran müssen alle arbeiten.

Dr. Harald Walser (*18.4.1953) ist Germanist und Historiker, Direktor des Gymnasiums Feldkirch, Nationalratsabgeordneter und Bildungssprecher der Grünen.


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("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.12.2013)

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