Österreichs Regierung stellt sich in der Biopolitik tot

VfGH-Urteil zur Samenspende als Lehrstück für politisches Versagen.

Das Urteil des Verfassungsgerichtshofs, wonach das bestehende Verbot von Samenspenden für lesbische Paare verfassungswidrig, da diskriminierend, ist, kam für Experten wenig überraschend. Ebenso wenig kann die Reaktion der katholischen Kirche, die sich über das Urteil des VfGH bestürzt zeigt, überraschen.

Bestürzend ist jedoch nicht das Erkenntnis des Höchstgerichts, sondern die notorische Untätigkeit des Gesetzgebers. Seit Jahren ist bekannt, dass auf dem Gebiet der Fortpflanzungsmedizin in Österreich Reformbedarf besteht. Die regierende Koalition stellt sich jedoch biopolitisch tot. Sie überlässt es Gerichten und Bürgern, die gegen bestehende Diskriminierungen klagen, Reformen anzustoßen, die doch eigentlich die Aufgabe der Politik wären.

Manche werden dies vielleicht sogar für eine besonders geschickte Strategie halten, weil man sich auf diese Weise politische Konflikte mit Lebensschützern und der katholischen Kirche erspart – und am Ende doch noch zu einer Liberalisierung des Fortpflanzungsmedizingesetzes kommt. Der Justizminister versichert, er werde wie vom VfGH gefordert dafür sorgen, dass das Verbot der Samenspende für lesbische Paare bis Jahresende aufgehoben wird. Auch die Familienministerin begrüßt das Urteil. Kanzler und Vizekanzler schweigen. Machtpolitisch mag dies alles klug sein, demokratiepolitisch aber ist diese Taktik desaströs.

Eine Reform ist überfällig

Die Folge: Paare, die es sich finanziell leisten können, erfüllen sich ihren Wunsch nach Eizellspenden oder Präimplantationsdiagnostik im Ausland, die weitere Betreuung der Schwangeren aber erfolgt durch heimische Ärzte im Inland. Was ist daran ethisch?

Schon mehrfach hat die Bioethikkommission dargelegt, dass sie eine umfassende Reform des Fortpflanzungsmedizingesetzes für überfällig hält. Ihre Funktionsperiode ist aber im Oktober ausgelaufen. Die Koalition hielt es nicht für nötig, rechtzeitig eine neue Kommission zu bestellen. Auch das wirft ein bezeichnendes Licht auf die österreichische Biopolitik.

Freispruch zweiter Klasse

Tatsächlich besteht weiterer Reformbedarf. Warum etwa soll die Samenspende – egal, ob für hetero- oder homosexuelle Paare – nur bei der künstlichen Befruchtung erlaubt sein, nicht aber bei der In-vitro-Fertilisation, also der Befruchtung im Reagenzglas? Und wie überzeugend sind die bisher für das Verbot der Eizellspende vorgebrachten Argumente?

Zwei Klagen gegen die Republik Österreich sind zwar vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte 2011 in letzter Instanz abgewiesen worden, doch handelte es sich um einen Freispruch zweiter Klasse. Das Gericht hat in seiner Urteilsbegründung durchblicken lassen, dass die österreichische Gesetzeslage auf Dauer nicht zu halten sei. Gleiches gilt für die Präimplantationsdiagnostik, also die Untersuchung von Embryonen auf Erbkrankheiten in der Petrischale.

Im Regierungsprogramm sucht man diese Stichworte vergebens. Auch andere Themen wie die Stammzellforschung oder die überfällige Ratifizierung der Biomedizinkonvention des Europarates bleiben ausgespart. Dafür findet man die problematische Idee, das Verbot der Euthanasie in der Verfassung zu verankern. Eine Enquete zu Fragen der Bioethik wurde im Mai 2013 von der Koalition abgesagt. Eigenständige biopolitische Initiativen sind vom Parlament kaum zu erwarten. Nicht nur das Parlamentsgebäude, sondern auch der österreichische Parlamentarismus erweist sich als Sanierungsfall.

Univ.-Prof. Ulrich H. J. Körtner ist Vorstand des Instituts für Systematische Theologie und Religionswissenschaft an der Evangelisch-Theologischen Fakultät und Vorstand des Instituts für Ethik und Recht in der Medizin der Universität Wien.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.01.2014)

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