Auswege aus dem Staatsschuldenproblem

Die Stimmen mehren sich, dass der historische Rekordstand der weltweiten Schulden nur über Vermögensteuern korrigiert werden kann. Letztlich wäre dies zum Vorteil auch für die Vermögenden selbst.

Das Staatsschuldenproblem wäre – ökonomisch betrachtet – vergleichsweise einfach aus der Welt zu schaffen. Auch dauerhaft. Das große Hindernis ist nicht die drückende Last der Gesamtverschuldung oder die schleppende Konjunktur, sondern der politische Wille – und die wissenschaftliche Bereitschaft, beim Thema Inflation zwischen berechtigter Angst und überzogener Paranoia zu differenzieren.

Die andauernde Eurokrise kann auch als Zeichen gelesen werden, dass die politischen Eliten gar kein Interesse an der Lösung des Problems haben, weil es zu mächtige Profiteure gibt. Dass die Zeit jedoch langsam für den folgenden Vorschlag reif wird, indizieren Tabubrüche in der „Presse“: Einmal das Interview mit dem deutschen Ökonomen Richard Werner (17. Oktober 2013), der den gezielten Einsatz der Zentralbanken für die Staatsfinanzierung vorschlug. Zum anderen die nüchterne Rechnung des Währungsfonds, dass zehn Prozent der Spareinlagen zur Reduktion der Euro-Staatsschulden auf das Vorkrisenniveau herangezogen werden könnten.

Lösung in drei Schritten

Mein Vorschlag zur Lösung des Staatsschuldenproblems in der Eurozone setzt sich aus drei Teilen zusammen:

Erstens: Die Staatsschuldenquote in der Eurozone nähert sich in diesem Jahr der Schwelle von 100 Prozent der Wirtschaftsleistung. Das Gesamtvermögen der Privathaushalte beträgt das Vier- bis Fünffache, in Österreich nach einer jüngsten Studie der Universität Linz sogar 533 Prozent der Staatsschulden.

Die Verteilung ist dabei extrem ungleich: Die Vermögen des obersten Prozent sind mit 469 Milliarden doppelt so groß wie die Staatsschulden (234 Milliarden)! Die größten Vermögen kommen weniger durch Leistung zustande als durch unfaire Spielregeln, die (Macht-)Konzentration begünstigen. Eine „negative Rückkoppelung“ wäre eher ein Element einer liberalen Marktwirtschaft als die gegenwärtige Exponentialität des Vermögenswachstums.

Dass volkswirtschaftlich die Schulden der einen die Guthaben der anderen sind, steht mathematisch außer Streit. Vor der logischen Konsequenz werden aber die Augen gezielt geschlossen: Ein Abbau der Schulden ist nur durch Vermögensreduktion möglich.

Option eins: Krise, Schuldenschnitt und Vermögensvernichtung. Option zwei: Rückzahlung der Schulden durch gezielte Besteuerung der Vermögen. 15 Prozent der Vermögen der oberen zehn Prozent (die knapp 70 Prozent des Gesamtvermögens auf sich vereinen) würden ausreichen, um die Staatsschulden zu halbieren. Diese könnte in zehn Jahresschritten – mit je 1,5 Prozent Steuer auf die Vermögenssubstanz – vollzogen werden. Dann wäre die Staatsschuld in der Eurozone von fast 100 auf 50 Prozent halbiert. Maastricht-Konformität wäre hergestellt. 90 Prozent der Bevölkerung blieben steuerfrei.

Milliardenersparnisse

Zweitens: Die EZB kauft den „Rest“ der Staatsschulden auf und wandelt sie in zinsfreie Kredite an die Eurostaaten in einem maximalen Ausmaß von 50 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung um. Der wichtigste Effekt: Die Zinszahlungen für die Staatsschulden gingen auf null (das ist der wichtigste Grund für den erbitterten Widerstand gegen diesen Vorschlag).

Die deutschen Steuerzahler würden sich jährlich knapp 70 Milliarden Euro bedingungsloses Grundeinkommen für die Gläubiger des Staates (diese benötigen es am allerwenigsten) ersparen, jene in Österreich rund acht Milliarden Euro. Es wäre der sinnvollste aller Sparposten, ohne konjunkturdämpfenden Effekt.

Was spricht dagegen? Inflation? Bleiben wir sachlich. Die Staatsausgaben würden – abgesehen von einem Teil der Zinsersparnis, die für Staatsaufgaben zur Verfügung stünde – nicht ansteigen. Es würde sich nur die Gläubigerstruktur der Staatsschulden ändern. Verkürzt gesagt: Was die Bilanzsumme der Zentralbank zunehmen würde, würden die Bilanzsummen der Geschäftsbanken zumindest teilweise schrumpfen.

Die Auswirkung auf die Geldmenge wäre nicht bedeutend – jedenfalls würde sie nicht zu Inflation führen. Genauso wenig, wie das Aufblähen der Bilanzsummen von Fed, EZB, Bank of England und Bank of Japan seit 2008 zu Inflation geführt hat, obwohl die Geldmengen in diesem Fall massiv angeschwollen sind. Die Bilanzsummen der wichtigsten Zentralbanken weiteten sich von weniger als zehn auf 25Prozent des jeweiligen BIPs, jene der EZB vorübergehend sogar auf 32Prozent aus, die Bank of Japan peilt 60Prozent an.

Sinnvolle Schuldenbremse

Dennoch dräut nicht Inflation, sondern Deflation: bei den Alltagsgütern. Bei den Finanztiteln findet Inflation (lat. „aufblähen“) die längste Zeit statt, derzeit bei Aktien. Eine Umschuldung der Staatsverbindlichkeiten brächte weder das eine noch das andere.

Drittens: Eine sinnvolle Schuldenbremse, die auch in der Verfassung verankert werden könnte, wäre eine einnahmenseitige: Übersteigt die Staatsschuldenquote die höchstzulässigen 50 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (exklusive eines Konjunkturpuffers), springen automatisch höhere Vermögensteuern an – Schulden und Guthaben sinken wieder im Gleichklang.

Ausgabenseitige Schuldenbremsen greifen nicht, das ist derzeit von Griechenland (tiefste Rezession in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg) über Spanien (Defizitprognose 2014: minus sechs Prozent) bis Irland (minus fünf Prozent zu beobachten.

Der Vorschlag würde zwar eine höhere Besteuerung großer – ohnehin nicht verkonsumierbarer – Großvermögen mit sich bringen, doch das Staatsschuldenproblem wäre ein für alle Mal aus der Welt. Und nie wieder müssten die Steuerzahler auch nur einen Cent Zins auf diese zahlen.

„Kommunistische“ Vorschläge?

Im Finanzministerium werden solche Vorschläge gern als „kommunistisch“ abgetan. Aber auch die Finanzbeamten können die Gesetze der Finanzmathematik nicht aufheben: Schulden und Finanzguthaben steigen und sinken wie ein Ehepaar. Das globale Finanzvermögen beträgt laut McKinsey das 3,2-Fache des Welt-BIPs – mehr Geld, als in der realen Wirtschaft veranlagt werden kann, weshalb es ins globale Finanz-Casino fließt und systemische Instabilität generiert.

Spiegelbildlich hat sich die Gesamtverschuldung von Privathaushalten, Unternehmen und Staat in der OECD in den letzten 30 Jahren von durchschnittlich 167 auf 314 Prozent des BIPs verdoppelt.

Die Stimmen derjenigen, die der Ansicht sind, dass dieses historische Rekordniveau nur durch Vermögensteuern korrigiert werden kann, wachsen ebenso wie die Stimmen derer, die argumentieren, dass dies auch zum Vorteil der Vermögenden ist. Denn die Alternative – der nächste und schlimmere Crash – würde einen größeren Teil der Vermögen vernichten als eine gezielte Steuer.

DER AUTOR

E-Mails an: obfuscationcom" target="_blank" rel="">debatte@diepresse.com



Christian Felber
(geb. 1972 in Salzburg) studierte Romanische Philologie und Politikwissenschaft in Salzburg und Madrid. Er ist Mitbegründer von Attac, Initiator der „Gemeinwohl-Ökonomie“ und des Projektes „Bank für Gemeinwohl“. Seit Herbst 2008 Lektor an der Wirtschaftsuniversität Wien. Im März erscheint sein Buch, „Geld. Die neuen Spielregeln“, bei Deuticke. [ Fabry]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.01.2014)

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