Wundermittel Transparenz?

Österreichs Gesundheitswesen braucht intelligente Organisation und keine Desavouierung des medizinischen Personals.

Nach Ansicht von Gesundheitsminister Alois Stöger und Patientenanwältin Sigrid Pilz heilt Transparenz alle Wunden. Das Wundermittel Transparenz soll überlange Wartezeiten auf medizinische Diagnoseleistungen und Behandlungen, die in vielen Bereichen des Gesundheitswesens explosiv zunehmen und teils lebensbedrohende Ausmaße erlangen, beseitigen.

Hier zeigen sich erneut die Macht der IT-Lobby, die ein neues Geschäftsmodell platziert, und das Unwissen unserer Politiker über die medizinische Realität. Internetbasierte Anmeldesysteme und transparente Wartelisten ändern nämlich nichts an Wartezeiten – es sei denn, das medizinische Personal ist entweder faul oder korrupt oder beides. Dass diese Unterstellung hinter den geforderten Maßnahmen steht, ist leider evident und umso verwunderlicher, als sie von der gesundheitspolitischen Führung kommt. Dabei beruht gerade das Gesundheitswesen auf einer Vertrauensbeziehung zwischen medizinischem Personal und hilfebedürftigen Kranken, was in Österreich trotz häufiger politischer Störmaßnahmen immer noch relativ gut funktioniert. Zurückzuführen ist dies nicht auf die hervorragenden Arbeitsbedingungen oder die tolle Bezahlung unseres Fachpersonals, sondern auf einen hohen Grad an Kompetenz und Idealismus bis hin zur Aufopferung der eigenen Gesundheit in allen Gesundheitsberufen.

Ignorierte Kapazitätsdefizite

Als Beispiel für politisch ignorierte Kapazitätsdefizite sei der Mangel an strahlentherapeutischer Versorgungskapazität im Osten Österreichs genannt, der auf Inkompetenz in der Gesundheitsplanung und politischen Fehlentscheidungen beruht. Statt acht Linearbeschleunigern pro Million Einwohner – das wäre westeuropäischer Standard – stehen in Ostösterreich für die Krebsbehandlung nur 4,5 Geräte zur Verfügung, was Ostblockniveau entspricht.

Die Deckelungen bei diagnostischen Leistungen führen zu Versorgungsengpässen bei CT- und MR-Untersuchungen, beides ebenfalls wichtige Leistungen, gerade für die Krebstherapie. Das Einsparungspotenzial im Gesundheitswesen, das nun im Rahmen der Gesundheitsreform gehoben werden soll, wird mit Sicherheit die Situation noch weiter verschärfen.

Resümee: Internetbasierte Anmeldesysteme verkürzen selbstverständlich keine Wartezeiten auf Untersuchungen und Behandlungen. Im Gegenteil, sie sind neben ELGA (130 Mio. Euro Basiskosten) ein weiteres Geschäftsmodell der IT-Industrie und beschneiden Mittel für Gesundheitsleistungen.

Durch intelligente Organisation und kompetente Gesundheitsplanung können im Gesundheitswesen dringend benötigte medizinische Kapazitäten geschaffen werden, nicht aber durch die Desavouierung und Demotivation der Mitarbeiter im Gesundheitswesen.

Die Vorschläge jener, die über den höchsten Kompetenzgrad am Patientenbett verfügen – also der Ärzte – liegen seit Jahren in den Schubladen der Gesundheitsverwalter. Gleichzeitig wird die politische Verantwortung für lange Wartezeiten auf die Leistungsträger im Gesundheitswesen abgewälzt.

Prim. Univ.-Doz. Dr. Robert Hawliczek ist Obmann der Bundesfachgruppe Strahlentherapie in der Österreichischen Ärztekammer sowie früherer E-Health-Experte der ÖÄK.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.01.2014)

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