EU-Projekte: Weniger Bürokratie wäre mehr

Gastkommentar. grenzüberschreitender Zusammenarbeit will die EU ihre Bürgernähe signalisieren. Gleichzeitig erschwert sie es aber immer mehr, diese Projektmittel abzurufen.

Vorweg: Ich bin ein Fan der EU als Friedensprojekt. Ich stehe hinter dem Leitbild Kohäsion und schätze Transferleistungen, wenn sie zur Verringerung sozialer und ökonomischer Disparitäten beitragen. 2014 steht eine neue Strukturfondsperiode vor der Tür. Es handelt sich um einen bis 2020 fixierten inhaltlichen und finanziellen Rahmen der EU.

Gegenwärtig wird vorbereitet, bald wird auch auf nationaler Ebene gefeilscht werden. Agrar- und Regionalpolitik zählen zum größten Anteil des Haushaltsbudgets der EU – öffentliche Mittel, die es verantwortungsvoll einzusetzen gilt. Nicht zuletzt will die EU sichtbar sein und durch Projekte Bürgernähe signalisieren.

Erfahrungsgemäß wird es jedoch zunehmend demotivierender, die verfügbaren Mittel zu Projektfinanzierungen abzurufen. Die Bürokratie überbordet, Projektmanagement und -administration überlagern sukzessive zeitlich wie budgetär die zu gestaltenden Inhalte.

Ein Foto vom Mittagsbuffet

Ein Beispiel aus der abgelaufenen Strukturfondsperiode sei angeführt: Im Rahmen der Europäischen Territorialen Zusammenarbeit (ETZ), dem Ziel3 der europäischen Kohäsionspolitik 2007–2013, geht es um grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Die Zielsetzungen liegen darin, gemeinsame Inhalte grenzüberschreitend zu bearbeiten. Das kann den Arbeitsmarkt, Tourismus, die Umwelt und andere Themen sowie Vernetzungsaktivitäten betreffen. Für Österreich ist ETZ ein wichtiges Ziel, da viele bilaterale Grenzen ehemals durch den Eisernen Vorhang bestimmt waren. Es beinhaltet somit auch eine versteckte Agenda, nämlich Grenzen im Kopf abzubauen.

Um an so einem Projekt mitwirken zu können, muss – in meinem Fall die Universität Wien – gegenüber der Prüfstelle (zuständige Verwaltung des mitfinanzierenden Bundeslandes) beweisen, dass regelmäßig mein Gehalt bezahlt wird. Meine Bank ist gefordert zu beweisen, dass ich den Gehalt meines Arbeitgebers auch bekommen habe. Gleichzeitig muss die Universität Wien beweisen, dass sie meine Sozialversicherungsbeiträge abführt. Und die Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter muss beweisen, dass sie diese auch erhalten hat. Zudem muss ich mittels Dienstvertrag belegen, dass ich überhaupt in einem Dienstverhältnis zu meinem Arbeitgeber stehe, obwohl ich als solcher das Projekt beantragt und auf Grundlage dessen bewilligt bekommen habe.

Wird zwecks Workshops in einem Hotel genächtigt, muss schriftlich begründet werden, warum dieses Hotel und kein anderes gewählt wurde – das kostengünstigste sollte es ohnedies sein. Alle Aktivitäten werden fotografiert. Die Aufnahmen dienen später neben den Rechnungen als Beweis für das Zustandekommen dieser. Unlängst wurde sogar das kalte Mittagsbuffet zu diesem Zweck abgelichtet.

Ordner auf Wanderschaft

Kommt es dann zur Abrechnung und Prüfung, werden die Originalbelege in Ordnern zu Fuß zwischen den Institutionen hin- und hergetragen, weil bisher laut europäischer Rechtsgrundlage keine elektronischen Belege akzeptiert werden. Aufbewahrt müssen sie zehn Jahre werden. Aufgrund der prekären Arbeitsverhältnisse im Projektbereich gibt es dann meist keine kompetenten Ansprechpartner mehr, sollten weitere Prüfungen folgen.

Die Uni Wien hat mittlerweile einen Risikofonds angelegt, um im Bedarfsfall bei Beeinspruchungen im Zuge der Second-Level-Auditierung gerüstet zu sein. Damit werden Kosten abgedeckt, die ohne Eigenverschulden des Projektnehmers durch Nichtanerkennung von Kosten aufgrund nachträglicher Interpretationen der Kontrollstellen aufgetreten sind.

Große Einrichtungen – wie beispielsweise Universitäten – haben grundsätzlich das Potenzial, an EU-Projekten dieser Art zu partizipieren. Es gibt – neben dem projektfinanzierten Projektmanagement – ein Forschungsservice, eine interne Rechtsberatung für Vertragserstellungen, eine Finanzabteilung zur Abwicklung und die Möglichkeit der Vorfinanzierung.

EU-Projekte müssen nämlich zuerst abgerechnet werden, bevor die EU-Mittel zurückfließen. Hier gibt es oft zusätzliche Verzögerungen durch die Verwaltungsstellen.

Auch muss ein Kofinanzierungsanteil bereitgestellt werden. An der Kofinanzierung von Projekten scheitern ansatzweise schon die neuen Mitgliedstaaten als Ganze, an der Gesamtlogistik scheitern immer mehr kleine Projektnehmer, die nicht die beschriebenen Ressourcen einer Großorganisation haben.

Zermürbt und aufgerieben

In einer aktuellen Publikation der Österreichischen Raumordnungskonferenz wird bereits von einem „Minderwert“ gesprochen, der durch die steigenden formalen Anforderungen dieser Programmschiene erzeugt wird, und deren „Mehrwert“ auf einen zu kleinen Kreis von immer denselben Akteuren wirkt, die daran (noch) regelmäßig partizipieren können.

Dennoch werden auch größere Einrichtungen durch die Gesamtabwicklung dieser Projekte zunehmend zermürbt und ressourcenmäßig aufgerieben. Die Bereitschaft, sich auf solche Projektschienen einzulassen, sinkt kontinuierlich, den LEAD – die Projektleitung – zu machen ist überhaupt für viele bereits ein rotes Tuch. Geld erhält die Projektleitung dafür meist keines, da diesbezügliche Arbeitsleistungen als anteilige Kofinanzierung in das Projekt zurückfließen.

In der Regel führen EU-Projekte auch keine Overheads ab, sodass die Supportstruktur der teilnehmenden Institutionen noch zusätzlich Projekte mitfinanziert.

Hürdenreiche Projektkontrolle

Unterschiedliche Verwaltungskulturen und -anforderungen in den einzelnen Mitgliedstaaten steigern überdies die Komplexität in der transnationalen Projektabwicklung. Zusätzlich will jede der betroffenen Verwaltungsebenen hundertprozentige Rechtssicherheit haben. Das wiederum führt zu gegenseitigen Hürden in der internen Projektkontrolle. Betroffen hier sind die Programmverwaltung (zum Beispiel ein Bundesland), die österreichische Prüfbehörde (Bundeskanzleramt) und die Europäische Kommission.

Meine Bitte als Projektnehmer: Weniger ist mehr! So könnte der Wunsch für die neue Strukturfondsperiode lauten – weniger Bürokratie und ein Mehr an Inhalten. Sonst könnte es bald so sein, dass es immer weniger Interessierte gibt, die sich an diesbezüglichen EU-Projekten beteiligen. Dies wäre wohl weder im Sinne der Sache noch im Sinne der Verwaltung.

Österreich hat sehr große Kompetenzen und Traditionen im Bereich der Regionalentwicklung und -politik. Vielleicht wäre ab 2014 eine Spur mehr Vertrauen als Kontrolle bei zukünftigen EU-Projektabwicklungen ein möglicher gemeinsam gangbarer Weg, um der kontinuierlich wachsenden Bürokratie Einhalt zu gebieten, unter der letztendlich alle Beteiligten die Leidtragenden sind. Inhaltliche Erfolge sollten zukünftig stärker im Vordergrund stehen.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.01.2014)

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