Spekulative Wedeltour durch Sotschi-Baustellen

Mit einer Sonderausgabe zum Ersten Weltkrieg sowie innenpolitischen Exklusivgeschichten macht „Die Presse“ von sich reden.

Erstaunlich, wie eine Redaktion über Feier- und Fenstertage hinweg Höchstleistungen erbringt. Ihr Themenschwerpunkt zum Kriegsausbruch 1914 ist eine einmalige publizistische Beigabe zu dem von Gelehrten erzeugten Bücherstoß neuer Weltkriegsliteratur (5. 1.). Wäre das Wort nicht aus der Mode gekommen, könnte man sagen: ein Paradebeispiel gelungener Volksbildung.
Anerkennung auch für Eigenberichte, die vielfach zitiert werden: Pläne zur Schließung von 100 Polizeiposten (leider mit „Polizeischließungen“ betitelt); Nominierung des FP-Kandidatenduos Mölzer/Vilimsky für die EU-Wahl; die Kritik des Ex-Hypo-Aufsichtsrats Johannes Ditz am Fehlen einer Bad-Hypo-Bank. Die Zeitung bringt sogar Witz in die streckenweise öde parteipolitische Landschaft, etwa im Artikel „Die Widersacher von der Süd-West-Achse.“

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Aber wer ist schon perfekt? Ein großer Themenschwerpunkt zu Sotschi versinkt in österreichischen Selbstzweifeln. Was ist geschehen? Heimische Firmen machen auf der Olympia-Großbaustelle in Sotschi ein Milliardengeschäft. Sie haben gute Kontakte zu russischen Auftraggebern, denken voraus, springen frühzeitig auf und können sogar das für Salzburgs Olympia-Bewerbung erarbeitete, aber nach der Niederlage Salzburgs dort nicht brauchbare Transportsimulationssystem erfolgreich verkaufen. Das alles erfährt man im Aufmacher – beeindruckend.
Doch die große Überschrift dazu lautet: „Die unsauberen Spiele von Sotschi“ (18. 1.). Der Korrespondentenbericht und die Regie der Wiener Redaktion steuern auf die Fragen zu: „Wurde hier etwa doch mehr gemauschelt, als bekannt ist? Hat eine Hand die andere gewaschen, nachdem zuvor bereits unter der Decke gedealt worden ist?“
Doch die Mauschelei kommt über Spekulation nicht hinaus. Dass in Russland für ein Prestigeobjekt von Präsident Wladimir Putin der Rubel rollt, liegt auf der Hand. Die Synchronisierung von russischer Korruption und österreichischem Unternehmergeist erzeugt aber ein entbehrliches, weil verschwommenes Bild. Entweder weiß die Redaktion mehr, als sie schreibt, oder sie deutet mehr an, als sie weiß. Hätten weltmarkterprobte österreichische Exporteure die Olympischen Spiele boykottieren und die Lieferung von 40 Seilbahnen verweigern sollen?

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Alles wird teurer, leider. Aber Handytarife werden nicht teurer, sondern die Handypreise steigen. Denn wer kauft schon Handytarife? (24. 12.) Gleiches gilt für die Normverbrauchsabgabe auf Neuwagen (11. 1.), die kauft auch niemand.
Hier ein sprachliches Vexierbild, weil Redakteure ihren Lesern gern Rätsel aufgeben: „Vorarlbergs Markus Wallner konnte Spindelegger übrigens mit einer simplen Geste zufriedenstellen.“ (14. 1.) Wer von beiden ist jetzt zufrieden? Stünde Spindelegger als Subjekt am Anfang des Satzes, wäre Wallner richtig als Beglückter zu identifizieren. „Stadt hilft Land“, lautet ein Zwischentitel zum Salzburger Finanzskandal (22. 1.). Genau umgekehrt: Das Land Salzburg hilft der Stadt.
Zum beliebten, aber fehlenden Dativ-n: Die EU-Kommission plant „Reduktion von Einweg-Plastiksackerl“ (15. 1.). Nur ein Sackerl, und das wird auch noch reduziert?
Tadschikistan: „Der rot-weiß-grüne Banner misst 1800 Quadratmeter“ (30. 12.). Das Banner müsste aber auch in Übergröße sächlich bleiben. Ebenso im Leitartikel-Titel: Chinas „rot-gelber Banner“ auf dem Mond hat das falsche Geschlecht (17. 12.).

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Kleine Fremdwörterkunde: Jemand wird promoviert – er wird befördert z. B. zum Doktor. Zumeist steht aber dort: Er/sie promovierte, befördert sich also selbst, wie peinlich. Der Duden hat schon kapituliert und lässt das zu. Der Klagenfurter Soziologe und Bildungswissenschaftler Paul Kellermann mailt mir: „Dass der Duden diese intransitive Form von promovieren akzeptiert, qualifiziere ich als populistische Anpassung und Beitrag zu Sprachunverständnis.“
Die Zeitung sollte die Wortschöpfung „militaristische Marzialik“ nicht einmal dann durchlassen, wenn sie bloß in einem fremden Zitat aufscheint (15. 1.) Sie klingt wie beißwütiger Marzipan.
„Qui bono“ hat eine Keyboard-Taste verwechselt. „Cui bono“ heißt es, wenn jemand auf Lateinisch „Wem nützt es?“ fragen will (18. 1.)

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Immer wieder sucht man etwas und findet es nicht. Zum Beispiel im Artikel „Abfahrtssieg in Griffweite“ über Anna Fenningers Chancen (11. 12.). Wann wird sie abfahren? Es bleibt geheim.
Wenn Touristen in London das House of Parliaments suchen und sich nach der Kartenskizze der „Presse“-Reisen-Seite richten, geraten sie weit vom Schuss. Die Zeitung verschiebt das Parlament von Westminster an den Hyde Park (18. 1.). Das ist ziemlich unscharf – Wiens Stephansdom steht ja auch nicht in Schönbrunn.
Wer oder was ist Tesla? In einer Zukunftsstudie werden auf der Autoseite BMW, VW, Hyundai/Kia, Toyota, Tesla und der indische Konzern Tata aufgezählt (8. 1.). Danke für Tatas Herkunftsbezeichnung. Aber muss jeder wissen, dass der 2003 gegründete Elektroauto-Spezialist Tesla amerikanisch ist?

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Statt „Schönbrunner Zoo“ könnte man „Tiergarten Schönbrunn“ schreiben (9. und 17. 1.). Erstens ist das der korrekte Name, zweitens ist dieser schon als Wort viel lebensfroher als Zoos, die es fast überall gibt. Zufällig sagt auch Burgschauspieler Peter Matic in einer dieser Ausgaben: „Heute aber spricht man von Flensburg bis Klagenfurt eine Sprache, eine Fernsehsprache. Das ist sehr schade. Es geht der Reiz des Bodenständigen verloren.“
Das geschieht auch, wenn die Zeitung wieder einmal „Januar“ schreibt statt Jänner (22. 1.). Gelegentlich weise ich auf solche Nachlässigkeiten hin. Ich wende mich gegen unbegründete Anglizismen, denn was ist der englische Mehrwert in folgender Überschrift: „Nudeldrucker: What else?“ Der Erfolg meiner Mühe ist jedoch begrenzt (what else!).
Überraschenderweise wird eine meiner Mahnungen aus dem Februar 2012 in der Kolumne „Diese Deutschen“ in der „Presse am Sonntag“ (12. 1.) zerpflückt und dem Verdacht nationalistischer Umtriebe ausgesetzt. Ich gebe zu, so höflich wie der oben zitierte Burgschauspieler drückte ich mich damals leider nicht aus.
Unzählige „Presse“-lesende Bremer und Berliner Bürger könnten verstört gewesen sein, beschwert hat sich keiner. Zur Abbitte ersuche ich, nun auch das Matic-Zitat im Zettelkasten der Rubrik „Diese Deutschen“ für den Gebrauch im übernächsten Jahr aufzubewahren. Matic ist dialektfrei aufgewachsen und kann bestenfalls Hessisch, sagt er. Er hat nichts gegen die Deutschen, ich übrigens auch nicht. Aber beide sind wir gegen die Einebnung der deutschen Sprache in all ihrer bunten Vielfalt.

Der Autor

Dr. Engelbert Washietl ist freier Journalist, Mitbegründer und Sprecher der „Initiative Qualität im Journalismus“ (IQ). Die Spiegelschrift erscheint ohne Einflussnahme der Redaktion in ausschließlicher Verantwortung des Autors. Er ist für Hinweise dankbar unter:
Spiegelschrift@diepresse.com

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