Die Ärztekammer und ihre "Alles ist in Ordnung"-Annahme

Bei der Qualitätssicherung in Arztordinationen zeigen sich gröbere Mängel.

Zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit wurden durch eine aufmerksame Patientin Ungereimtheiten bei einer Wiener Gynäkologin öffentlich. Die Frau hatte sich gewundert, dass die Befundung ihres Krebsabstriches durch das Labor im Abrechnungsblatt nicht aufgelistet war. Sie informierte die Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK).

Wie ist es möglich, dass zwei Ärztinnen nicht erbrachte Leistungen massenhaft und über einen längeren Zeitraum abrechnen, ohne dass die Kasse diese Malversationen bemerkt?

Es kann funktionieren, weil die einfachsten Sicherungsmaßnahmen nicht genutzt werden: So ist es unverständlicherweise nicht verpflichtend, den Patientinnen das Ergebnis ihres Krebsabstriches schriftlich mitzuteilen. Es ist üblich, dass sich der Arzt nur meldet, wenn der Befund verdächtig ist.

ELGA wird hier Abhilfe schaffen: Künftig werden die Befunde automatisch und ohne Zutun der Ärzte für Patienten persönlich verfügbar sein. Im Lichte der aktuellen Vorgänge ist aber nachvollziehbar, warum diese Transparenz und Patientenautonomie nicht allen Medizinern gefällt.

Nicht auf dem Kontrollradar

Ein weiterer Systemfehler hat den Schaden begünstigt: Die Kasse verzichtet bis dato auf die Abgleichung der Abrechnungen von Arzt und Labor. Sie versucht nun zu beruhigen: Es werden alle 96 Gynäkologen mit WGKK-Vertrag überprüft. Warum man sich erst dann dazu durchringt, wenn sich hunderte Frauen vor Gesundheitsfolgen fürchten müssen, rechtfertigt man nicht.

Ausgeblendet wird zudem, dass nur rund ein Viertel aller Wiener Frauenärzte Vertragspartner der WGKK sind. Wer sich bei den zahlreichen Wahlärzten behandeln lässt, ist weiterhin nicht auf dem Kontrollradar. Umso wichtiger ist daher eine wirksame Aufsicht der niedergelassenen Ärzte durch ihre Standesvertretung. Die Ärztekammer aber stellt Qualitätszertifikate für die Ordinationen aus, ohne genau hinzusehen: Behandlung am Stand der Wissenschaft, sorgsame Dokumentation, Fehlermanagement und Patientensicherheit – diese wesentlichen Qualitätskriterien überlässt man einer „Selbstevaluation“ und zertifiziert auf dieser Basis nur einmal in fünf Jahren.

Unabhängige Behörde nötig

In den Wartezimmern hängt das Qualitätszertifikat an prominenter Stelle aus und wiegt die Patienten in der vermeintlichen Sicherheit, die Ärztekammer würde gute Behandlungsqualität und Patientensicherheit überprüfen und beglaubigen. Nur bei rund sieben Prozent aller Ärzte werden stichprobenweise Prüfungen anberaumt. Allerdings beschränkt man sich darauf, Barrierefreiheit, Öffnungszeiten, Hygiene u.ä. zu kontrollieren.

Es beginnt schon bei der Eröffnung der Ordination. Wer meint, dass die ökonomische, rechtliche und organisatorische Kompetenz für eine Genehmigung nachgewiesen werden muss, der irrt! Es reichen im Wesentlichen eine Meldung an Ärztekammer und Finanzamt sowie ein Ausweis der Ordinationszeiten.

Dass das zu wenig ist, problematisieren die beiden Vorsitzenden der Fach- und Allgemeinmediziner mittlerweile selbst und appellieren ausdrücklich an die Ärzte, „sich das eigene Ausbildungsdefizit selbst bewusst zu machen und die Know-how-Lücken selbst zu füllen!“. Ob der Rat befolgt wird, steht im Belieben der Betroffenen.

Die Ärztekammer sieht jedenfalls weiterhin keinen Regelungsbedarf und geht von der „Alles in Ordnung“-Vermutung aus. Es ist also höchste Zeit, dass der Gesundheitsminister die Qualitätskontrolle der ärztlichen Standesvertretung entzieht und einer unabhängigen Behörde überträgt.

Dr. Sigrid Pilz (geboren 1958) ist Pflege-Patientenanwältin der Gemeinde Wien.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.02.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.