Töten heißt versagen

Zur Sterbehilfe in Belgien: Wir schulden unseren Kindern, Kranken und Alten eine Kultur des Beistands.

Belgien hat als erstes Land weltweit grünes Licht für Tötung auf Verlangen bei Kindern und Minderjährigen gegeben. Die umstrittene Gesetzesänderung weitet die seit 2002 bestehende Regelung zur straffreien Tötung auf Verlangen aus – auf alle Bürger ohne Altersbeschränkung.

Der vorzeitige Tod als Dienstleistung für alle, Jung und Alt, krank oder nur lebensmüde, ausgeführt von staatlich geprüften Fachleuten – ist das die Zukunft des Sterbens, die Belgien uns vor Augen führt? Es ist wohl eher die moralische Bankrotterklärung einer Kultur, die ihre Kompetenz im Umgang mit Leidenden verloren hat und im Rückzugsgefecht die legale Tötung als Befreiung feiert. Auch die Entsorgung jener, die besonders vulnerabel und schutzbedürftig sind: Kinder, Kranke und Alte.

„Wenn ich gestorben bin, sag es bitte nicht meiner Mama, weil die ist sonst traurig.“ Kinderonkologen und Palliativmediziner, die hunderte sterbenskranke Kinder begleitet haben, kennen diese Sätze – und sind empört über das belgische Gesetz.

Kinder haben keine Angst vor dem Tod. Aber sie wollen andere schonen. Sie sterben leichter. Sie leben im Jetzt, ohne Angst vor der Zukunft. Aber Kinder machen sich Sorgen, vor allem um die, die sie traurig anschauen.

Kinder können ihre Eltern nicht leiden sehen – und fühlen sich schuldig. „Je mehr Doktor Düsseldorf mit traurigen Augen schweigt, desto mehr fühle ich mich schuldig. Ich habe verstanden, dass ich ein schlechter Kranker bin, ein Kranker, der einem den Glauben daran nimmt, dass die Medizin etwas ganz Tolles ist“, sagt der kleine krebskranken Oskar in Eric-Emanuel Schmitts gleichnamigem Bestseller. Ein Glück, dass der Bub die liebevolle Besucher-Oma in Rosa hatte, die ihm Beistand gab und Liebe statt einer Todesspritze.

Wie soll ein Kind – das weder allein einen Handyvertrag abschließen noch Zigaretten kaufen darf – darüber entscheiden, ob es leben oder sterben will? Warum mit Zustimmung der Eltern und eines Psychologen, wie es das belgische Gesetz vorsieht? Und was soll aus einer Gesellschaft werden, in der Gesetze von Kinderärzten, Internisten und Palliativmedizinern verlangen, Menschen zu töten?

Dieser Vertrauensbruch ist durch nichts wettzumachen. Da hilft es auch nichts, von nur fünf Fällen im Jahr zu sprechen. Es geht um ein Todesurteil. Wäre das ein Argument für die Einführung der Todesstrafe – der Hinweis, es käme ohnehin nur einmal im Jahr zu einer Exekution?

Belgien zwingt uns nachzudenken: nicht nur über den assistierten Suizid, sondern auch die Tötung von Neugeborenen, Dementen, Depressiven – und Kindern. Eine Verankerung des Verbots von Tötung auf Verlangen in der österreichischen Verfassung wäre angesichts der erschreckenden Entwicklung einer eiskalten inneren Tötungslogik, die bereits in anderen europäischen Ländern um sich greift, ein deutliches Signal.

Unsere Kultur lebt davon, dass wir auch an den Grenzen des Lebens zueinanderstehen. Mehr als 155.000 EU-Bürger haben innerhalb weniger Tage eine Petition (www.citizengo.org) unterschrieben, in der sie an den König von Belgien appellieren, das Gesetz zur Sterbehilfe bei Kindern nicht zu unterschreiben: „Den Kindern zuliebe, bitte unterschreiben Sie das Euthanasiegesetz nicht“, sagt die vierjährige Jessica Saba, die mit einem lebensbedrohlichen Herzfehler geboren wurde, stellvertretend für Millionen für Kinder. Wir schulden unseren Kindern, Kranken und Alten eine Kultur des Beistands und nicht eine Unkultur des Entsorgens.


Mag. Susanne Kummer ist Ethikerin und Geschäftsführerin des Instituts für Medizinische Anthropologie und Bioethik (Imabe) in Wien.
www.imabe.org

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.02.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.