Tabuisierte Sterbekultur

Der Tod auf Verlangen kann doch nicht die einzige Antwort auf Pflegebedürftigkeit sein, wie das Kinofilme suggerieren.

Vor 15 Jahren war es noch kein Thema. Wie sich das in Zeiten steigender Lebenserwartung doch ändert. Den Auftakt machte 2011 „Anfang 80“ mit Karl Merkatz. 2012 wurde Michael Hanekes „Amour“ erstaufgeführt. 2013 folgte Nikolaus Leytners TV-Film „Die Auslöschung“ mit Klaus Maria Brandauer in der Hauptrolle. Wir dürfen gespannt sein, ob auch 2014 einen Film bereithält, der den Umgang mit Menschen am Lebensende thematisiert.

Alle diese Filme tragen dazu bei, Demenz, Pflegebedürftigkeit und Tod zu enttabuisieren. Allein, sie kommunizieren eine einseitige Haltung: Alter und Pflegebedürftigkeit sind Belastungen, durch die das Leben sinnlos wird. Der Ausweg ist der Tod – durch die eigene Hand oder die des Partners. Damit soll die Wahl dieser Alternative nicht verurteilt werden. In den genannten Filmen wird der Tod allerdings als einzige Alternative zu einem Leben als Pflegefall dargestellt. Dabei gibt es dort, wo nichts mehr zu machen ist, noch immer viel zu tun – warum setzt sich diese Haltung so langsam durch?

Niemand von uns möchte am Lebensende hilflos leiden und anderen zur Last fallen. Aber dass die meisten nicht einmal darüber sprechen wollen, ist ein wesentlicher Grund für das Tabu, mit dem das (würdevolle) Sterben belegt ist. In vielen modernen Gesellschaften ist eine Sterbekultur aus dem Erfahrungshorizont der Menschen verschwunden. Das hat vielfältige Gründe.

Was alles zu tun wäre

Ein gewisser Allmachtsanspruch der Medizin gehört genauso dazu wie demografische Verwerfungen. Eine Sterbekultur kann auch nicht gesetzlich verordnet oder behördlich erzwungen werden. Aber die Grundlagen zu schaffen, damit diese entstehen kann, ist eine wichtige gesellschaftspolitische Aufgabe.

Voraussetzungen dafür wären: Die Prinzipien der Palliativpflege und -medizin und die Grundsätze der Hospizidee konsequent in allen Einrichtungen des Gesundheitswesens zu integrieren, österreichweit Hospizbetten in Pflegeheimen weiter auszubauen – im Sinne einer „bedarfsorientierten Betreuung“ – und durch öffentliche Kofinanzierung abzusichern, mehr Geld für Hospize und mobile Hospizbetreuung zur Verfügung zu stellen (über 80Prozent der Menschen wollen zu Hause sterben).

Unter diesen Bedingungen könnten Sterbende schmerzfrei sein und letzte Dinge geregelt wissen. Sie würden nicht alleingelassen, sondern wären in vertrauter Umgebung. In den österreichischen Rahmengesundheitszielen findet sich dazu nur ein Satz: „Stationäre und ambulante Strukturen für die neuen Leistungsbereiche Hospiz-/Palliativversorgung sollen aufgebaut werden.“

Gleichzeitig überlegt die Bundesregierung, ein Verbot der aktiven Sterbehilfe in der Verfassung zu verankern. Doch was hilft ein Verbot, wenn den betroffenen Menschen kein bedarfsgerechtes Versorgungsangebot als Alternative angeboten wird?

„Sterben ist kein Unglück, aber jenes jahrelange Leiden, ehe man es dahinbringt“, meinte einst Heinrich Heine. Diesem Leiden eine qualitätsvolle Versorgung für alle, die sie in Anspruch nehmen wollen, entgegenzusetzen ist in unser aller Interesse. „Hier können wir doch nicht bleiben“, schreibt Heine. Mit anderen Worten: Wir alle sind Zielgruppe.

Dr. Werner Kerschbaum ist Generalsekretär des Österreichischen Roten Kreuzes (ÖRK).

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.03.2014)

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