Wien als Tor nach Europa für den Iran

Österreich spielt im strategischen Denken der politischen Eliten Teherans seit Jahrhunderten eine wichtige Rolle. Sie rechnen es den Österreichern hoch an, dass ihnen hier immer auf "gleicher Augenhöhe" begegnet wurde.

Dass die Atomverhandlungen zwischen der internationalen Gemeinschaft und dem Iran in der entscheidenden Phase nun in Wien weitergeführt werden, kann mit Blick auf die Geschichte kaum als Zufall angesehen werden. Die iranische Diplomatie betrachtet die österreichische Bundeshauptstadt als die europäische Metropole, in der sie, wie Teherans Emissäre häufig betonen, aus einer Position der „gleichen Augenhöhe“ heraus mit westlichen Gesprächspartnern verhandeln kann.

Die österreichischen Gastgeber wiederum sind sich ihrer Rolle als privilegierter Ansprechpartner für die iranische Seite sehr wohl bewusst. Tatsächlich hat die österreichische Politik mehr zum Zustandekommen eines neuen Dialogversuchs zwischen Teheran und dem Westen beigetragen, als die Partnerstaaten in der EU und auch die USA ihr zugestehen wollen.

Wien als Relaisstation

Schon kurz nach der Regierungsbildung in Wien hat Irans politische Führung ihre Fühler in Richtung Wien ausgestreckt, zumal die Bedeutung der Donaumetropole als Relaisstation in den Beziehungen des Iran zur westlichen Welt eine lange Tradition besitzt. So hat auch ein österreichischer Diplomat im Vorfeld der Atomverhandlungen darauf verwiesen, dass die „Iraner uns immer als ein Land betrachtet haben, das ihnen in der Geschichte nie feindselig gegenüberstand“. Die „guten Verbindungen“ zwischen beiden Seiten reichen dabei bis in die Zeit des Habsburger-Reiches zurück.

Auch das Österreichische Kulturforum in Teheran verweist auf „die jahrhundertealte Tradition kultureller und wissenschaftlicher Beziehungen zwischen dem Iran und Österreich“, die auch in „schwierigen Zeiten weitergeführt“ wurden.

Seit dem 16. Jahrhundert schon schuf die gemeinsame Frontstellung zum Osmanischen Reich – hier im Westen, dort im Osten – die Grundlage für eine rege Zusammenarbeit. Bedeutend war die Rolle Österreichs immer im gegenseitigen Kulturaustausch, bei der Vermittlung persischer Kultur und von Wissen über Persien in das Abendland hinein. Die 1754 gegründete Orientalische Akademie in Wien war jener Ort, von dem aus zuerst die großen Werke der persischen Literatur, etwa von Hafiz, Firdauzi oder Sa'adi, übersetzt ihren Weg nach Europa fanden.

Im 19. Jahrhundert war es die Zwangslage Persiens zwischen russischem und britischem Vormachtstreben in der Region, die die Donaumonarchie zu einem Wunschpartner persischer Befreiungsversuche aus dieser Umklammerung werden ließ. Eine Zeit, die die iranische Historiografie bis heute als „Erniedrigung“ bezeichnet. Die herrschenden Eliten in Teheran mussten nahezu ohnmächtig zusehen, wie die Kolonialherren die Wirtschaft ihres Landes unter sich aufteilten und die persische Politik in ihrem Sinne mitbestimmten.

Die Linie der Nahost-Politik

Als Gegengewicht zur britisch-russischen Hegemonie gedacht, sollte Österreich-Ungarn beim Aufbau unabhängiger Streitkräfte helfen. 1833 trat der erste österreichische Offizier in den persischen Militärdienst ein, weitere sollten ihm folgen. Als Nasruddin Shah 1878 zu einem Staatsbesuch in Wien weilte, sprach er begeistert davon, dass er hier wie ein „ebenbürtiger Souverän“ behandelt werde und nicht, wie im Fall der Briten und der Russen, wie ein Befehlsempfänger. Doch die persischen Hoffnungen auf österreichische Hilfe erfüllten sich nicht, weil Berlin bremste.

Dennoch ist es diese Geschichte, die heute auf iranischer Seite als gemeinsame „Geschichte des Friedens“ bezeichnet wird und die Österreich aus der Perspektive Teherans zu einem ernst zu nehmenden und seriösen Gesprächspartner macht. Dazu beigetragen hat auch, dass Österreich im Gegensatz zu allen anderen westlichen Staaten nach der Besetzung der US-Botschaft 1979 die diplomatischen Beziehungen zur Islamischen Republik nicht abgebrochen hat und dass das Österreichische Kulturinstitut in Teheran – heute Kulturforum – seit den 1950er-Jahren kontinuierliche und gute Arbeit geleistet hat und leistet. Viele Iraner, die über Deutschkenntnisse verfügen, haben diese dort erworben.

Linie der österreichischen Politik war es, angesichts des instabilen Umfelds im Nahen und Mittleren Osten im Iran einen verlässlichen Partner zu gewinnen. So fanden seit 1996 eine Reihe von österreichisch-iranischen Dialogkonferenzen in Wien und Teheran statt, die als eigentlich theologisch ausgerichtete interreligiöse Gesprächsforen durchaus auch politischen Charakter hatten. 2001 besuchte der Wiener Erzbischof Kardinal Schönborn als erster hoher Würdenträger der katholischen Kirche den Iran und traf dort auch Ayatollah Khamenei.

Kritiker der österreichischen Iran-Politik monieren, Wien opfere die Moral den wirtschaftlichen Interessen und schweige zu Menschenrechtsverletzungen. Unter dem Deckmantel der völkerrechtlichen Neutralität verbessere Österreich am internationalen Sanktionsregime vorbei seine eigenen Handelsbilanzen mit der Islamischen Republik. Freilich, verglichen mit den regen Wirtschaftsaktivitäten und insbesondere den Waffenlieferungen anderer westlicher Nationen an Problemstaaten im Nahen und Mittleren Osten nehmen sich die österreichischen Aktivitäten eher bescheiden aus.

Suche nach neuen Lieferanten

Mit einem Exportvolumen von annähernd 300 Millionen US-Dollar ist der iranische Markt momentan kein überragender Absatzmarkt für die österreichische Exportwirtschaft. Gegenwärtig und nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund der aktuellen Krise um die Zukunft der Ukraine setzen sowohl OMV als auch die österreichische Energiepolitik für die Zukunft auf ein größeres Maß an Unabhängigkeit von russischen Erdgaslieferungen, wobei der Iran bei diesen Bestrebungen eine zentrale Rolle spielt.

Für Teheran wiederum stellt Wien das Tor nach Europa dar. Diese zentrale Rolle im strategischen Denken der politischen Eliten des Iran hat sich im Laufe der Geschichte nicht verändert.

Ob in Wien auch der gordische Knoten des Atomkonflikts mit dem Iran im Zuge der Einigung auf ein langfristiges Abkommen zerschlagen werden kann, werden die nächsten Monate zeigen. Ein besser geeigneter Ort für die Aushandlung einer endgültigen Lösung, die den Interessen aller Beteiligten entspricht, ist aber jedenfalls schlichtweg nicht denkbar.

Die beiden Autoren veröffentlichten vor Kurzem die Studie: „Teherans Atomstrategie und die internationale Sicherheit. Eine politikwissenschaftlich-orientalistische Konstellationsanalyse“ (München 2013).

E-Mails an:debatte@diepresse.com

DIE AUTOREN



Prof. Dr. Reinhard Meier-Walser
(geb. in Steyr/OÖ) promovierte an der Uni München zum Thema „Die Außenpolitik der monokoloren Regierung Klaus in Österreich, 1966–1970“. Er leitet die Akademie für Politik und Zeitgeschehen der Hanns-Seidel-Stiftung und lehrt Internationale Politik an der Uni Regensburg. [ Privat ]


Dr. Peter L. Münch-Heubner
studierte Politikwissenschaften, Orientalistik und Neuere Geschichte an der Universität München. Er beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit der
Geschichte und der Gegenwart des Iran sowie auch mit dem christlich-islamischen Dialog. [ Privat ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.04.2014)

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