Alltag im Dauerlärm des Bauplatzes

„Ihr seid Arbeitssklaven“, sage ich zu den bienenfleißigen Hacklern. „Hauptsache, wir haben Arbeit“, erwidern sie.

Heute hämmern die Bauarbeiter wieder unaufhörlich und bohren aus allen Rohren. Während einer auf dem Dach des alten Dorfhauses steht, das eigentlich unter Denkmalschutz gehört hätte, und alte Dachziegel in den Hof schmeißt, bohrt der andere auf dem Dach des Nachbarhauses lautstark vor sich hin.

Bauarbeiter gestalten die Wiener Stadtlandschaft. Als Erstes wurden kleine Bäume und ein begrüntes Dach entfernt und sauberer Beton gegossen. Beton-Chic eben. „Wir bauen hier Luxus-Eigentumswohnungen“, sagte der Vorarbeiter mit stolzem Unterton in der Stimme. „Wir beide werden uns die aber nicht leisten können“, erwiderte ich.

Seitdem frage ich mich, wem es nützt, wenn diese geplanten Luxuswohnungen ein paar Wochen früher fertig sein sollten, aber alle Anrainer völlig entnervt auf der Strecke bleiben.

Vorhut der Moderne

Denn ab sieben Uhr in der Früh donnert die Betonschneidemaschine, es wird eifrig gehämmert, gebrüllt und mit Holzlatten geschmissen, bis um halb sechs Uhr abends. Durchgehend. Samstags etwas kürzer. „Ihr seid Arbeitssklaven“, sage ich zu den im strömenden Regen arbeitenden Hacklern, meiner neuen Bauarbeiter-Wohngemeinschaft.

Aber diese fühlen sich eher als Vorhut einer neuen Zeit, der Moderne, als Wegräumer von Ruinen. Bei ihrer Arbeit würden sie doch sowieso nur ein paar Arbeitslose aus dem Schlaf aufscheuchen, aber keine Pensionisten, Studenten, Kinder und Kranken zur Verzweiflung treiben.

Warum aber die Eile? „Bei Gefahr des wirtschaftlichen Verlustes dürfen Bauarbeiter bis zu 60 Stunden die Woche arbeiten, bis zu einem halben Jahr lang“, erklärt der Herr vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Wirtschaftlicher Verlust für wen?

Der Werkmeister von der Baupolizei macht ein Geheimnis aus den Bauplänen, nur als Hausbesitzer erhält man Einsicht. „Ich bin selbst vom Bürgerdienst und saß am Sonntag steil im Bett, weil die Bauarbeiter bei uns buckelten. Wir hatten zwei Baukräne! Ziehen Sie nie an den Naschmarkt!“, sagt die Dame vom Bürgerdienst am Telefon. Die Dame vom Denkmalamt ist seit Stunden „auf Mittagstisch“.

Warum aber die Eile?

Schneidendes Konzert der Betonschneidemaschine. Eine Mietreduktion wegen Lärmbelästigung würde schlanke fünf Prozent betragen.

Unser Hausverwalter hat selbst eine Unterschriftenliste gesammelt und konnte dadurch die Umbauten im Nachbarhaus auf ein Drittel beschränken. Das Wiener Lärmschutzgesetz, ein Landesgesetz, sieht vor, dass Bauarbeiter von sechs Uhr früh bis 20Uhr arbeiten „dürfen“.

Trotzdem: Wem dient die Eile? Und wer kontrolliert, ob es nicht immer die gleichen fünf fleißigen Hackler sind, die sich abplagen und es keine Schichtwechsel gibt?

„Wir haben Arbeit, das ist die Hauptsache“, sagt Bauarbeiter Rocky, der vom Chef durch ständiges Gebrüll angetrieben wird.

Kein Wunder, dass manche Bauarbeiter dieses Tempo verweigern und sich über ausländische Kollegen aufregen, die extrem „anzarrn“.

Woher nehmen die ihre Effizienz und ihre enorme Energie? Aus ihrem unsicheren Aufenthaltsstatus? Aus einem besonderen Arbeitsethos?

Pönale als Antrieb

„Wenn die nicht rechtzeitig fertig werden, müssen sie Pönale zahlen“, erklärt mir der Architekt im Bioladen, wo er zu mittag speist. Und er schaut mich vorwurfsvoll an. „Ein Bauarbeiter will nur seine Arbeit machen, genauso wie Sie. Die sind keine Sklaven!“

Kerstin Kellermann ist freie Journalistin
in Wien. Unter anderem schreibt sie
regelmäßig für die Obdachlosenzeitung „Augustin“.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.04.2014)

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