Haben wir zum Minister auch eine Außenpolitik?

Karikatur: Peter Kufner
Karikatur: Peter Kufner www.peterkufner.com
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Österreich und die Welt. Sebastian Kurz geht sein Aufgabe beherzt an. Zu hinterfragen ist freilich seine Appeasement-Politik gegenüber Putin.

Wenigstens hat Österreich wieder einen Außenminister, nachdem dessen Vorgänger diese Funktion schon längere Zeit nur noch aufreizend lustlos und mit ständigem Schielen nach dem Posten des Finanzministers ausgeübt hatte. Den Posten in der Himmelpfortgasse hat er nun, er bereut es vielleicht schon. Aber davon haben wir nichts.

Sebastian Kurz dagegen geht seine Sache beherzt und mit der ihm eigenen jugendlichen Unbekümmertheit an. Er scheut sich nicht, an die politisch schwierigsten Orte der Weltpolitik – in den Iran, nach Israel und in die Ukraine – zu fahren. Als Legitimation dazu diente ihm bisher die Funktion als Vorsitzender des Europarats, die er aber wohl bald nicht mehr brauchen wird. Für heutige Verhältnisse war sein zweitägiger Besuch im Iran durchaus keine bloße Stippvisite, sondern ein respektabler Versuch, sich mit einem Problemfall internationaler Politik ernsthaft auseinanderzusetzen.

Über den angeblichen außenpolitischen Beraterkreis, den sich Kurz hat aufschwatzen lassen, ist genug gelästert worden. Das Gremium hat mehr mit Öffentlichkeitsarbeit bei jenen Medien zu tun, die ihre Leser glauben machen wollen, ein Gesellschaftspromi sei für alles zuständig, als mit außenpolitischer Strategie. Er wird bald wieder vergessen sein. Was auch könnten die Damen Mei-Pochtler und Gürtler oder Alfred Gusenbauer dem Außenminister für die Vorbereitung seiner Gespräche in Teheran oder in Jerusalem und mit der Palästinensischen Autonomiebehörde in Ramallah geraten haben? Wenn Kurz einen Rat von außen braucht, muss er nur zum Telefon greifen. Es gibt Leute in der Republik, die sich wirklich auskennen und dem Minister mit ihren internationalen Kontakten gern helfen, die aber die Einladung, einem solchen Kreis anzugehören, ausgeschlagen haben.

Es kommt beim Publikum natürlich auch gut an, wenn Kurz den Medien erzählt, künftig werde man die Botschafter kürzer halten und nicht mehr in Residenzen wohnen lassen. Aber schon seit Längerem gibt es einen Plan im Außenamt, der für jede Botschaft je nach Größe des Landes und dem Aufgabengebiet eine bestimmte Raumfläche vorsieht.

Das Wort „Residenz“ ist ohnehin schon aus dem Wortschatz des Außenministeriums gestrichen worden. Der Terminus heißt nun Amtsleiterwohnung, allerdings fällt die sogenannte Residenz unter den Schutz, den das Gastland laut Völkerrecht den ausländischen Missionen zu gewährleisten hat. Große Botschaftsgebäude zu verkaufen, kommt nicht in Frage, weil erst in den letzten Jahren einige Neubauten (Berlin, Washington) erstellt wurden. Und genau die Leute, die das Geld für solche Bauten hätten, haben kein Interesse für Immobilen dieser Art, die sich privat schwer nutzen lassen, weil sie keinen Neureich-Luxus bieten.

Wir haben also einen allseits beliebten und geschätzten Außenminister, und wir haben einen großen diplomatischen Apparat. Aber haben wir auch eine Außenpolitik?

Mit der Neutralität ist kein Staat mehr zu machen, über sie ist die Geschichte hinweggegangen. Sie heute als Modell etwa der Ukraine anzudienen, ist lächerlich und verkennt die geopolitischen Verhältnisse, unter denen sie entstanden ist. „Gut gefahren mit der Neutralität“ (Sebastian Kurz) sind wir nur deshalb, weil sie nie auf die Probe gestellt wurde und wir sicher sein konnten, im Ernstfall unter Nato-Schutz zu stehen.

Österreichs Interessen

Große Bereiche einer eigenen Außenpolitik sind heute „mediatisiert“ – wie das ein hoher Diplomat nennt – durch unsere Mitgliedschaft in der Europäischen Union. Die Bedingungen der Wirtschaftsbeziehungen zu den USA etwa werden von der EU ausgehandelt, etwa im künftigen Freihandelsabkommen. Marktzugänge zu erstreiten oder Urheberrechte zu sichern, ist für die EU-28 leichter als für ein kleines Acht-Millionen-Land.

Welchen Spielraum gibt es unter diesen Umständen für die Außenpolitik eines Landes wie Österreich, wenn man unter Außenpolitik auch und vor allem die Sicherung eigener Interessen in der Welt versteht?

Traditionell wichtig für Österreich ist der Einfluss im südosteuropäischen Raum. Dass dort etwa ein Rechts- und Institutionenverständnis aus österreichischer Tradition gegenüber einem angelsächsisch bestimmten weiter vorherrschend bleibt beziehungsweise sich seit 1989 neu entwickelt, ist von vitalem Interesse für Österreichs Wirtschaft in diesem Raum. Die Förderung von universitären Bildungseinrichtungen oder die Verbreitung des dualen Ausbildungsystems ist daher österreichische Außenpolitik.

Die Ereignisse in der Ukraine haben aber die unterschiedliche Weltsicht und die tiefgehenden Differenzen gerade zwischen Österreich und diesen uns benachbarten und traditionell mit uns befreundeten Ländern – es sind fast lauter altösterreichische Gegenden – deutlich hervortreten lassen. Kurz befindet sich ganz auf der europäischen Linie, wenn er eine Appeasementpolitik gegenüber Russland befürwortet, die allerdings in Pressburg, Prag und Warschau mit Sorge betrachtet wird. Er folgt dabei durchaus dem nun wirklich strategischen Paradigma seines Hauses, nach dem die potenziellen wirtschaftlichen Kosten von Sanktionen gegen Russland die wichtigste Überlegung sind: „Unser politisches Interesse deckt sich mit dem wirtschaftlichen.“

Russland grenzt, an wen es will

In Mittelosteuropa dagegen sieht man im russischen Neo-Imperialismus keinen anderen als den alten sowjetischen, den man selbst leidvoll erlebt hat und dessen Opfer man nicht wieder werden möchte. Entsprechend groß ist die Furcht. Es macht dort auch wieder ein alter Witz aus der Sowjetunion die Runde: „An wen grenzt Russland? – An wen es will.“

Die, die solche Witze erzählen, fügen sarkastisch hinzu, in Österreich gebe es wohl noch nicht genug Russen, deren Vermögen Putin schützen müsse. Die Mitgliedschaft in der Nato ist diesen Ländern denn auch gleich wichtig wie die in der EU, beide werden eigentlich als zwei Seiten derselben Medaille betrachtet.

Eine zunehmend beliebte Denkfigur im Westen ist, man müsse Putin ein „Angebot“ machen, ihm eine „europäische Perspektive“ eröffnen. Was damit gemeint ist, bleibt unerklärt. Die EU wird als „gefräßig“ bezeichnet, die es nicht eilig genug habe, sich nach Osten, eben in den Raum, den man vorweg als russisches Einflussgebiet akzeptiert, auszudehnen.

Was Putin erreichen will

Darin offenbart sich eine erschreckende Geschichtsvergessenheit. Die Staaten, die der EU beitreten, tun es freiwillig, sie wählen Rechtsstaat, Demokratie und wirtschaftliche Prosperität anstatt Autoritarismus und russische Vorherrschaft.

Wenn österreichische Kommentatoren vorschlagen, Europa solle sich doch nicht (gemeint ist stets von den Amerikanern) ins Bockshorn jagen lassen und seine Zeit nicht in der Sandkiste vertrödeln, sondern mit dem Kreml auch in weltpolitischen Fragen kooperieren, hat Putin eigentlich schon erreicht, was er will. Der Preis dafür wäre nämlich, dass er in dem, was er als das russische Vorfeld betrachtet, schalten und walten kann, wie er will.

Der Autor

Hans Winkler war langjähriger Leiter der Wiener Redaktion der "Kleinen Zeitung".

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.05.2014)

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