Die anderen Gewichtungen der Wurstmania

Was wir unten, am Grund, so alles zu Conchita und Co. zu hören bekommen.

Ein Bericht – aus Eindrücken, mit Aufgeschnapptem an Tresen und Budeln, vor Standeln, in Wirtshäusern, nach dem Triumph von C. Wurst (Pseudonym!), während des Taumels der letzten Wochen. Eine Schmach wurde getilgt. Das Land der Lieder, Österreich, hat mit einer lieben Actionfilm-Operette siegreich songcontestet. Mozart, Schubert, Brahms, Lehár, Berg, Stolz, Cerha, Jürgens usf. sind endlich wieder reingewaschen.

Die positiven Sekundäreffekte oder Umwegrentabilitäten kann man angeblich noch gar nicht benennen. Aber die Menschen werden ab nun wohl ein bisschen besser (sein), toleranter und überhaupt lebensführungsweiser. Glück herrscht in den Medien, Intimes (bis Nacktes und Possierliches) in den Zeitungen, Wählerstimmen Verheißendes ergibt sich für Kanzler, Minister und Moguls – Österreich ist frei! Bald, aber gut auf dem Weg, körperlich, exhibitionistisch, selbstbestimmt, trans und so weiter sich transportierend.

Und dann? Jetzt wird hier nur cool etwas resümiert, bewusst unter Auslassung von Zitaten mit Fäkal- oder Verbalinjurien der schlimmsten Art. Es darf nämlich – beim Lauschen im vulgus mobile – der weitschweifige Positiveffekt der Wurst-Performance bezweifelt werden. Denn im Wirtshaus, vor Budeln, in der Weinschank, beim Frühschoppen herrschen andere Gewichtungen der Wurstmania.

Im erdigeren Bereich

Der Autor dieser Zeilen – dort eigentlich auf Musiksuche nach noch immer verschütteten Klängen vom Grund – erlebte einiges, zunächst unfreiwillig zuhörend, dann verblüfft lauschend. Dort im, sagen wir, etwas erdigeren Bereich, geht es kaum so locker und in geheuchelter Toleranz den neuen Identitätsfindern gegenüber ab, wie es der weltmännische Boulevard nach dem Phönix-Aufstieg, dem Conchita-Preislied, suggeriert. (Übrigens, zwei Sachen zwischendurch: erstens, die Phönix-Sage ist ja auch jenseits der aktuellen Wurst-Saga nicht ohne, denn jenes legendäre Flugtier, das sich – sowieso nur alle paar hundert Jahre – wieder aus fremder Asche neu zusammensetzt, formt vor allem ein Ei in der Größe der Leiche seines Vaters, um alles in Heliopolis wieder feierlich zu begraben. Zweitens: Unter Conchitas Familienkünstlernamen in seiner Verbindung zum Phönix verstand man bis vor Kurzem zunächst eine „rustikal-moderne, aber supersaubere“ Wurstbude am Phönixsee zu Dortmund, wo es angeblich die „leckerste Soße“ zu verkosten gibt.)

Welt und Gegenwelt

Das Gegenteil zum sich selbst aufklärenden Österreich kommt hart daher. Das vor allem durch feines Wirkungstrinken locker gewordene Massenpublikum sieht – so die Erfahrungen – die ganze Sache mit Frau und Mann und Bart und Divenhabitus irgendwie anders. Man wünscht ihnen Gewalt, Sexrepressalien und noch mehr; ein gern geübter O-Ton vor allem bei frühen Schoppen, „ein Aufhängen wie bei die Juden“. Österreich ist offenbar gelegentlich noch etwas zu frei.

Noch etwas: Falls dort auf dem Grund jemandem das aktuelle Life-Ball-Plakat überhaupt aufgefallen ist: Das dann über Toleranz, Gender, Trans oder was immer Geäußerte war noch verheerender. Der Tenor zudem, pardon, aber: Warum muss sich alles immer zuerst über Schwanz und Arsch ausdrücken?

Sodann die Gegenwelt! Aktuell in verblüfften Artikeln zu lesen. Vor allem der Bezirk Zell am See mutiert zur Saudi-Außenstelle. Dort einmal spazieren gehen! Trauen Sie sich! Der weibliche Körper hat inexistent zu sein, wird zum rechtlosen Verhüllungsserail. Das Ausdrücken geht hier über Sex ex negativo. Österreich ist frei?

Dr. Otto Brusatti (* 1948), ist Regisseur, Radiomoderator und Autor. Im Juni erscheint bei mdv-Halle/Leipzig sein neues Buch „Im Jahr der Sünden“.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.05.2014)

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