Ein Schuhfabrikant, der Ulrichsberg und der Haftungsexzess

Nicht die Haftungen galten einst als Risiko, sondern das Reden darüber.

Warum macht die Finanzmarktaufsicht ein Riesentheater wegen eines kleinen Waldviertler Schuhproduzenten, hat aber angesichts der Haftungsexzesse von Jörg Haider mit keinem Ohrwaschl gezuckt? Warum hat seinerzeit der Rechnungshof ebendiesen Exzess nicht vor laufenden Kameras in der Luft zerrissen, sondern stattdessen nobel geschwiegen? Warum hat die gesamte Kärntner Opposition dieser aus heutiger Sicht unfassbaren Dummheit ihren Segen gegeben?

Und schließlich: Wieso haben die gleichen Medien, die sich nach der brutalen Attacke Jörg Haiders auf Ariel Muzicant im Wiener Wahlkampf 2001 auf hunderten Seiten ihre berechtigte Empörung von der Seele geschrieben und die jeden von Haiders Auftritten am Ulrichsberg zum Angriff auf die Grundfesten der Republik hochstilisiert haben, kein Wort der Kritik zur einzigen Tat des Kärntner Landeshauptmanns verloren, die die Republik tatsächlich beträchtlich ins Schlingern gebracht hat? Die Antworten kann man googeln.

Laut Wikipedia ist der Begriff „Eierlegende Wollmilchsau“ eine umgangssprachliche Redewendung, mit der etwas beschrieben wird, das nur Vorteile bringt, alle Bedürfnisse befriedigt und allen Ansprüchen genügt.

Rückblick in die 1990er-Jahre

Also haargenau das, wofür die Banken-Haftung von einem Großteil der österreichischen Eliten lagerübergreifend immer gehalten worden ist: Sie erhöht die Bonität der Bank und reduziert damit ihre Refinanzierungskosten. Sie gibt dem Sparer ein Gefühl besonderer Sicherheit und lässt den Kreditnehmer auf günstigere Konditionen hoffen. Und für die Institution, die haftet, fällt auch noch eine Haftungsprämie ab. Und das alles bei null Risiko. Eine bessere eierlegende Wollmilchsau kann man gar nicht erfinden.

Wer sich die Debatte um die Privatisierung der Bank Austria in den 1990er-Jahren in Erinnerung ruft, dem werden diese Argumente nur zu vertraut vorkommen. Die Stadt Wien hat damals für die Geschäfte der Bank Austria ebenfalls mit dem Mehrfachen ihres Jahresbudgets gehaftet. Ein Risiko für den Steuerzahler? Aber nicht einmal daran denken.

„Thema ja nicht ,hochspielen‘“

Damals ist ein neue Form der Haftung erfunden worden: die rein theoretische Haftung. Guter Herr Görg, Sie verunsichern nur die Sparer! Haben Sie schon einmal davon gehört, dass diese Haftung nur theoretisch ist? Dass die Spitzen der Bank Austria und der Wiener SPÖ so argumentiert haben, und dass sich manche Medien als willige und gut gefütterte Herolde der Botschaft von der rein theoretischen Haftung verdingt haben, ist ja nicht verwunderlich.

Aber ich bin damals nicht nur einmal auch von Parteifreunden gebeten worden, das Haftungsthema nicht „hochzuspielen“. Nicht die Haftung wäre das Risiko sondern das Reden darüber. Es würde nur die Menschen verunsichern. Wie ungemein weise und lebensklug! Vor Tschernobyl ist das Risiko eines Supergaus auch immer nur rein theoretisch gewesen.

Die österreichischen Eliten waren damals übrigens in guter internationaler Gesellschaft. Brüssel hat zwar sehr früh die Haftungen ins Visier genommen und ihnen letztlich auch den Garaus gemacht. Aber ausschließlich wegen der Wettbewerbsverzerrung durch die günstigeren Refinanzierungsmöglichkeiten. Das mit Haftungen verbundene existenzielle Risiko für Gemeinwesen und Haftungsobergrenzen, die sich an der Wirtschaftskraft des Haftungsträgers orientieren, sind niemals ein Thema gewesen.

Bernhard Görg (* 1942, war zehn Jahre Wiener ÖVP-Obmann und von 1996 bis 2001 Wiener Vizebürgermeister. Zuvor langjähriges IBM- Geschäftsleitungsmitglied und Chef eines intern. Beratungsunternehmens.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.06.2014)

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