Eine „österreichische“ Sprache gibt es nicht

Wie speziell „österreichische“ Begriffe entstanden sind und warum sie immer stärker auf dem Rückzug sind.

Es ist sehr erfreulich, dass die vom BMUKK herausgegebene Broschüre „Österreichisches Deutsch als Unterrichts- und Bildungssprache“ ein so breites Echo findet. Denn dass sich das typisch „österreichische“ Deutsch – zusammen mit dem südlich bzw. bairisch gefärbten – bei der jüngeren Generation auf dem Rückzug befindet, ist eine Tatsache.

Eine der Ursachen, warum die österreichische Varietät des Standarddeutschen immer weiter zurückgedrängt wird, ist die globalisierte Umwelt: Der jungen Generation ist der Unterschied zwischen Norddeutsch und Süddeutsch – zu Letzterem zählt ja das österreichische Deutsch – immer weniger bewusst. In den Massenmedien (v.a. im Fernsehen und in der Werbung) überwiegt der binnendeutsche, eher nördlich geprägte Sprachgebrauch. Dazu kommt der fortschreitende Abbau der Mundarten. Dadurch entstand eine gewisse sprachliche Unsicherheit, der die nun vorliegende Broschüre entgegenwirken kann. Viele Menschen sind sprachlich unsicher und wählen zur Vorsicht die bundesdeutsche Variante und blicken lieber in den „Duden“ als ins „Österreichische Wörterbuch“. Ein „österreichisches Sprachbewusstsein“ scheint es derzeit (zumindest bei der jüngeren Generation) nicht zu geben – im Gegensatz zum „österreichischen Nationalbewusstsein“. Dies zeigt sich auch an der Übernahme vieler im amtlichen Bereich üblicher Bezeichnungen wie „Gesundheitsakte“ (statt der -akt) oder beim Telefonieren „drücken Sie die eins“ (statt „drücken Sie eins“).

Und vielfach fehlt das sprachliche Wissen, was u.a. die EU-Liste der österreichischen Bezeichnungen unterstreicht: 23 Begriffe wie Erdäpfel, Eierschwammerl, Ribisel oder Powidl wurden beim EU-Beitritt Österreichs im Protokoll Nr. 10 festgehalten, die parallel zu den bundes- oder binnendeutschen Bezeichnungen (gleichrangig) zu verwenden sind. Insgesamt gibt es aber eine weit größere Anzahl von Austriazismen, nicht nur unter den Bezeichnungen für Lebensmittel, sondern v.a. auch in der Rechts- und Verwaltungssprache, hinter der die typisch österreichische Küchensprache eher eine Nebenrolle spielt. Übrigens sind nur zwölf von den 23 Bezeichnungen in diesem Protokoll Austriazismen im engeren Sinn des Wortes, denn neun davon sind auch bairisch bzw. süddeutsch, und zwei passen gar nicht in diese Liste; einige dieser Austriazismen sind darüber hinaus nicht in ganz Österreich üblich (wie u.a. die Tomate).

Als Austriazismen bezeichnet man den Wortschatz, der im außerösterreichischen deutschen Sprachgebiet als „typisch österreichisch“ wahrgenommen wird. Dazu kommen auch einige Aussprachegewohnheiten (wie Chemie, China als [ki-], nicht [chi-] oder -ig als [-ik], nicht [-ich], Betonung Kaffée, Mathemátik usw.). Es betreffen zwar die für Österreich typischen Ausdrücke alle Lebensbereiche, sie häufen sich aber auf dem Gebiet der Verwaltung und Gastronomie.

Diese Broschüre will nun vermitteln, dass das österreichische Deutsch eine nationale Varietät der gemeinsamen hochdeutschen Schriftsprache ist, die sich von dieser durch einige Besonderheiten abhebt und in Österreich als Standardsprache zu betrachten ist, wie im „Österreichischen Wörterbuch“ festgehalten ist – dieses ist also eine Art „Duden“ für Österreich.

Der deutsche Standardraum

Das Verhältnis zwischen dem Deutschen in Österreich und in Deutschland (einschließlich des Freistaates Bayern und der Schweiz) ist allerdings ein sehr verwickeltes. Die innerstaatlich verlaufende Kommunikation, bedingt durch die Eigenstaatlichkeit (spätestens seit 1866/71, aber schon seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts) ließ einerseits die „staatsräumlichen Austriazismen“ der Amts- und Verwaltungs- bzw. Küchen- und Mediensprache entstehen und lieferte andererseits den Rahmen dazu, dass süddeutsche und bairische Besonderheiten in unserem Lande ihre Position gegenüber binnen- und bundesdeutschen Varianten besser behaupten konnten als etwa im Freistaat Bayern (diesen schreibt man mit y, bairisch mit i meint aber den Dialekt).

Entscheidend war aber für Österreich die Einbindung in die einheitliche gesamtdeutsche Standardsprache seit dem 18. Jahrhundert, die einerseits die räumliche Gliederung des pluriarealen deutschen Sprachgebietes nach den dialektalen Großräumen reflektiert, andererseits die deutschen Großdialekte überdacht und damit die Kommunikation sicherstellt. Die plurizentrische Gliederung des deutschen Sprachgebietes nach den drei Staaten Deutschland, Österreich und der Schweiz ist sekundär, historisch jünger und reflektiert die neuzeitliche politische Entwicklung, hat aber bisher keine geschlossenen Sprachräume nach den Staatsgrenzen schaffen können, zumindest nicht auf Ebene der allgemeinen Verkehrssprache. Grammatikalische Abweichungen sind marginal, es gibt auch nicht sehr viele österreichische Wörter, die in Deutschland nicht verstanden werden, sondern bestenfalls ein paar Dutzend, das meiste findet sich auch in den anderen süddeutschen Regionen, v.a. in Bayern.

Die Staatsgrenze zu den anderen deutschsprachigen Regionen ist keine Sprach- oder Mundartgrenze, sondern bloß eine politische, die sich nur auf sprachliche Erscheinungen des öffentlichen Lebens beschränkt, also österreichisch und schweizerisch, Nationalrat gegenüber Bundestag, österreichisch Matura, schweizerisch Matur gegenüber deutsch Abitur, deutsch und österreichisch Führerschein gegenüber schweizerisch Führerausweis usw. Sonst trinkt man seine Maß Bier in München wie in Salzburg. Weder das österreichische noch das deutschländische (noch das Schweizer) Deutsch bildet eine Einheit. Das österreichische Deutsch ist also eine historisch durch Eigenstaatlichkeit erwachsene nationale Varietät, wobei weder dieses noch das bundesdeutsche homogen sind, vielmehr setzt sich die areale Gliederung, wie sie in der BR Deutschland im Großen besteht, sich im Kleinen in Österreich fort, wobei unbestritten bleibt, dass manche Erscheinungen nur auf österreichischem Boden vorkommen, diese aber nicht immer im ganzen Bundesgebiet.

Denn eine einheitliche „österreichische Sprache“ (analog zu der seit 1945 entstandenen und heute gefestigten „[Staats-]Nation“) gibt es nicht; der Umkehrschluss „weil es eine österreichische Nation gibt, muss es auch eine Nationalsprache geben“ ist nicht zulässig.

Es gibt also sehr wohl eine österreichische „nationale Varietät“ des Deutschen, sie ist aber gleichzeitig eine durch die Eigenstaatlichkeit Österreichs bedingte süddeutsche Varietät, „national“ in der Hinsicht, dass die staatlich-kulturellen Rahmenbedingungen das Festhalten am süddeutschen Sprachgut fördern, aber „nicht national“ hinsichtlich des Sprachverhaltens weiter Teile der österreichischen Gesellschaft, denn in österreichischen Zeitungen, in Rundfunk und Fernsehen sind Wörter wie Junge für Knabe bzw. Bub und Bursche, Treppe für Stiege, Kartoffel für Erdäpfel usw., Plurale wie Jungs, Mädels usw., Wendungen wie er ist gut drauf, es macht keinen Sinn, tschüss usw. heute gang und gäbe; auch er/sie/es hat gestanden/gelegen/gesessen (statt süddeutsch ist) kann man heute in Österreich (wie auch in Bayern) oft hören. Ferner ist in der gehobenen Gastronomie eine Zunahme binnen- und bundesdeutscher Termini zu beobachten.

DER AUTOR

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Heinz-Dieter Pohl
, geboren 1942, ist Professor für Allgemeine und Diachrone Sprachwissenschaft im Ruhestand an der Alpen Adria Universität Klagenfurt. Er hat u. a. das „Österreichische Wörterbuch“ bearbeitet. [ Privat ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.07.2014)

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