Wider den Sex im Satzbau

Selbst wenn das Maskuline immer mehr zwischen den Zeilen untergeht, braucht man sich um Männer nicht zu sorgen.

Interessanterweise verläuft die Debatte um die Herstellung von Geschlechtergerechtigkeit durch Sonderzeichen zeitlich parallel mit einer anderen, die in den letzten Monaten durch die Feuilletonseiten des deutschsprachigen Blätterwaldes rauscht, nämlich dem – vor allem von Frauen angedachten – Ereignis vom Ende oder Untergang der Männer. Diese zwei Diskurse, die sich bisher nicht überschneiden, haben eines gemeinsam: Abgeschafft ist das Männliche deswegen noch lange nicht, weder in der Sprache noch sonst wo.

Die feministische Forderung nach Reduzierung des Maskulinen bedeutet schon deswegen keine Gefahr, weil Männer ja weiterhin die wichtigen Positionen in Wirtschaft und Staat bekleiden werden. Aber nicht bloß an den oberen Rändern der Gesellschaft, bei Führungskräften und Entscheidungsbefugten tummeln sich zahlenmäßig mehr Männer als Frauen. Auch an den unteren Ausläufern, bei Obdachlosen und Kriminellen, bilden sie die größeren Prozentsätze.

Und sie werden auch künftig die meisten Baggerfahrer, Maurer, Schweißer, Schlächter, Soldaten, Söldner, Mörder, Räuber und Diktatoren stellen, Arbeitsfelder, bei denen auch Hardcore-Feministinnen eine Gleichstellung meist kein besonderes Anliegen ist – nicht in der Berufsausübung und nicht in der Sprache.

Antisexistischer Sexismus

Zwar wäre eine Welt mit weniger Kriegern und Verbrechern wünschenswert, aber eine ohne Berg- und Bauarbeiter, ohne Kanalräumer und Müllmänner ist nicht denkbar. Nicht nur entscheiden und befehlen, auch herräumen und wegräumen sind Männerdomänen, da hat alles Gender-Mainstreaming und alle Sprachverstümmelung bisher nichts genützt.

Letztlich sind also die geschlechterbetonenden Sonderzeichen nicht bloß eine sprachästhetische Burleske, sondern auch eine Verspottung derjenigen, die die Führungsarbeit und die ungeliebte Arbeit im Staat leisten. Eine solche Diskriminierung ist eigentlich ein antisexistischer Sexismus, der den feministischen Gleichstellungsidealen Hohn spricht.

Da die Zeicheninflation zudem alle nervt, die Wert auf Sprachästhetik legen, darunter Angehörige jeden Geschlechts, sei hier Verzicht auf all die typografischen Kürzel empfohlen. Wer alle mitmeinen will, kann eine Lösung im Entsexualisieren der Sätze finden, im neutralen Schreiben.

Es bedarf nur ein wenig Fantasie, und schon sind Wörter mit Geschlecht durch solche ohne ersetzt (z. B. Lehrkräfte statt Lehrer/innen). So lässt man alle Geschlechter verschwinden, und niemand braucht sich benachteiligt fühlen. Gauner und Ganoven kann man vielleicht stehen lassen, da will ohnedies niemand mitgemeint werden.

Übung und Überlegung

Nicht immer ist es möglich, einen Begriff durch einen anderen zu ersetzen. Es bedarf der Übung und der Überlegung und manchmal vieler Worte, dass die Geschlechtslosigkeit nicht auf Kosten des Inhalts erfolgt. Im Übrigen können viele Sätze ohne Bedeutungsverlust in den Plural verlegt werden, dort gibt es nur den Artikel die. Selbst wenn eine Million Männer etwas tun, dann tun sie es. In der Mehrzahl herrscht seit jeher das Weibliche.

Sollte es eines Tages so weit kommen, dass Männer eine Geschlechtersymmetrie im Plural fordern, dann sind sie wohl von jenem Untergang bedroht, der ihnen schon heute prophezeit wird. Wenn das eintritt, dann haben Frauen das Sagen in der Welt übernommen.

Dann wären Männer tatsächlich eine bedrohte Spezies, die zu schützen, zu fördern und sprachlich gleichzubehandeln ist. Bis es so weit ist, könnte es noch eine Weile dauern.


Ingrid Thurner ist Ethnologin, Lehrbeauftragte am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie der Universität Wien.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.07.2014)

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