Österreich und Bayern: In der Chuzpe vereint

Ob Ausländermaut oder Hypo-Debakel. In einem sind sich Österreicher und Bayern einig: Die Pose ist wichtiger als das Ergebnis.

Bayern und Österreichern werden oft gewisse Ähnlichkeiten wenn nicht gar Gemeinsamkeiten nachgesagt. Dazu zählen neben einer angeblich verbreiteten Freunderl- oder Speziwirtschaft eine Aufmüpfigkeit gegen „die da oben“ (je nach Periode und Situation variierend, aber heute jedenfalls „die in Brüssel“) und gegen Regeln, die einem nicht in den eigenen Kram passen, ein Hang zum „Schlaucherltum“ in Verbindung mit „einmal schauen, ob wir damit durchkommen“ und „man wird es ja noch probieren dürfen“ und nicht zu vergessen ein Hang zum Populismus („für die eigenen kleinen Leute gegen die Bösen da draußen“) quer durch den politischen Gemüsegarten und auf allen Sprossen der politischen Hierarchieleiter.

Beginnen wir mit Bayern – Sie wissen schon, man tut sich leichter, den Splitter im Auge des anderen wahrzunehmen.

Ein bayrischer Ministerpräsident, der glaubt, bei den letzten Koalitionsverhandlungen im Bund etwas zu kurz gekommen zu sein (das macht sich in Bayern nämlich auch nicht so gut), möchte wenigstens ein publikumswirksames Thema vulgo eingelöstes Wahlversprechen auf seine Fahne schreiben können: die Straßenbenützungsgebühr. Die Deutschen (gerade auch die Bayern, die es aus geografischen Gründen öfters auf österreichische Autobahnen verschlägt) müssen fast überall im europäischen Ausland eine solche bezahlen, die Ausländer in Deutschland aber nicht.

Die „Bösen“ sitzen in Brüssel

Nun könnte man eine Autobahn- oder allgemeine Straßenmaut auch in Deutschland einführen, nur müssten die dann nicht nur die Ausländer, sondern auch die deutschen Inländer zahlen – so wie die Inländer in ihren Ländern. Was freilich die p.t. deutschen Autofahrer vulgo Wähler eher nicht freuen dürfte, also sucht man nach einer Methode, nur die Ausländer zur Kasse zu bitten. Nachdem das in der EU mit ihren „depperten“ Regeln nicht so einfach geht, wird eine Umgehungskonstruktion gewählt.

Alle Autofahrer müssen die Gebühr zahlen, aber die deutschen Inländer bekommen sie über eine Steuersenkung wieder zurück. Streitigkeiten mit der EU, unfreundliche Reaktionen im Ausland und eine abwartende bis ablehnende Haltung auch bei den anderen Regierungsparteien im Bund werden in Kauf genommen; sie nützen dem eigenen Image in Bayern („Wir kämpfen für unsere Autofahrer gegen die da oben und die da draußen“).

Die Pose ist wichtiger als das Ergebnis: Mal schauen, ob man in Brüssel damit durchkommt. Wenn ja, freuen sich die inländischen Autofahrer/Wähler, wenn nein, dann wird man es ja noch probieren dürfen, und die Bösen sind die EU-Bürokraten. So oder so, die Guten sind die bayrischen Politiker, insbesondere die CSU-Landesregierung, der Ministerpräsident und der Verkehrsminister von der CSU.

Die Österreicher (und nicht nur sie) empören sich daraufhin über die Verletzung allgemein gültiger Prinzipien und Regeln – gleichheitswidrig, Diskriminierungsverbot und so. Die beschworenen hehren Grundsätze und das Recht werden freilich im eigenen Land etwas lockerer gesehen.

Der Balken im eigenen Auge ist angeblich kein solcher, und außerdem handelt es sich nur um einen einmaligen Sonderfall. Der SPÖ/ÖVP-Regierungskoalition liegen die Milliardenkosten des Hypo-Alpe-Adria-Debakels schwer im Magen, auch wenn in der Giftküche früher ein Politiker anderer Couleur dabei den Kochlöffel geschwungen hat.

Nun hätte man die Bank in den Konkurs schicken können und mit ihr auch gleich das Bundesland Kärnten, das die Haftung für die Schulden übernommen hat, die es mangels finanzieller Masse nicht tragen kann.

Weil die Republik Österreich aus finanzwirtschaftlichen Überlegungen (die man teilen oder ablehnen kann, aber das steht hier nicht zur Debatte) eine Pleite und Enteignung aller Schuldner nicht riskieren will, bleibt das Gros der Miesen bei der Republik Österreich sprich beim Steuerzahler hängen.

„Dumm und frech“

Den p.t. österreichischen Steuerzahlern dürfte das freilich nicht gefallen, also sucht man nach einem Weg, den politischen Unmut zumindest etwas abzumildern. Zur Kasse gebeten werden nur die nachrangigen Gläubiger, verbunden mit dem Hinweis, dass es sich dabei angeblich eh um „G'stopfte“ (Banken, Versicherungen, Fonds etc.) handelt, die bekannten „neoliberalen Spekulanten“.

Dass zu diesen unter anderen auch die Weltbank zählt – mit rund 150 Millionen Euro und damit rund einem Sechstel der fraglichen Summe von 900 Millionen Euro –, ist halt ein leichter Kollateralschaden, der die meisten Leute nicht kratzt und den Boulevard schon gar nicht. Die Gläubiger sind – frei nach dem Bonmot eines längst verblichenen Bankiers – „dumm und frech“: Dumm, weil sie ihm Geld geliehen haben und frech, weil sie sie es auch wieder zurückhaben möchten.

Aufstand gegen Enteignung

Im konkreten Fall: Dumm, weil sie sich auf die Haftungsgarantie eines Bundeslandes verlassen haben, obwohl sie doch hätten wissen müssen, dass Kärnten mit dem Schlagendwerden der Haftung finanziell mehrfach überfordert war und ist, und frech, weil sie sich erstens gegen die Enteignung wehren wollen und zweitens noch dazu darauf hinweisen, dass die Republik Österreich ja auch hätte wissen müssen, dass das Bundesland Kärnten das nicht zahlen kann.

Was natürlich nicht stimmen darf (wo käme denn der österreichische Föderalismus hin, wenn der Bund mitwissen oder gar mitverantworten müsste, was die Länder tun?) und wenn doch, so geht das nur uns etwas an. Gewiss, so manche(r) Abgeordnete auch der österreichischen Koalition hat beim Gesetzesbeschluss Bauchweh, „die da oben“ und „die da draußen“ regen sich auf und werden vor Gericht ziehen.

Abgesehen davon, dass solche Verfahren dauern können (vielleicht bis es eine neue Regierung mit neuen Personen gibt?), gilt jedenfalls: Mal schauen, ob man vor den Gerichten damit durchkommt. Wenn ja, dann freuen sich die österreichischen Steuerzahler vulgo Wähler oder zumindest ärgern sie sich etwas weniger. Da gab es ja auch so eine Art Versprechen, wenngleich erst nach der Wahl, weil vor der Wahl wollte man die Sache lieber nicht so in der Öffentlichkeit breittreten.

Man wird es probieren dürfen

Wenn nein, dann wird man es doch noch probieren dürfen, und die Bösen sind die gierigen Spekulanten, die Umstände und die Richter („auf See und vor Gericht ist jeder in Gottes Hand“), keinesfalls die eigenen Navigationskünste. Die Guten sind jedenfalls die SPÖ/ÖVP-Regierung, speziell der Bundeskanzler und der Finanzminister.

Wie schon eingangs erwähnt, werden Bayern und Österreichern oft gewisse Ähnlichkeiten, wenn nicht gar Gemeinsamkeiten nachgesagt. Und wir wollen doch unserem Ruf gerecht werden: in der Chuzpe nachbarschaftlich vereint.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.07.2014)

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