Die Furcht vor Palästinas Einheit!

Die Behauptung Israels, nur die Hamas bekämpfen zu wollen, ist unwahr. Israel bestraft alle Menschen im Gazastreifen.

Regelmäßig überrascht uns Israel mit neuen Angriffen auf den Gazastreifen. Das hat inzwischen Tradition, so war es 2009, 2012 und jetzt 2014. Fünf Tage nach Beginn der Angriffe hat Israel auf den Gazastreifen, ein Gebiet kleiner als Wien, über 2000 Tonnen Sprengstoff abgeworfen. Die Gründe für einen solchen Angriff können aus der Sicht Israels vielfältig sein. Dieses Mal ist es der Tod von drei Jugendlichen, den Israel mit aller Gewalt der Hamas anhängen will. Diese hat sich aber von dieser Gewalttat distanziert, und Israel ist bis heute einen Beweis schuldig geblieben.

Die Behauptung Israels, mit diesen Angriffen nur die Hamas bekämpfen zu wollen, ist schlicht unwahr. Israel bekämpft und bestraft die gesamte Bevölkerung in Gaza, denn wie soll man diese in der am dichtest besiedelten Gegend der Welt gezielt bekämpfen, ohne bewusst den Tod von Zivilisten in Kauf zu nehmen, noch dazu wohl wissend, dass alle Grenzen abgeriegelt sind und die Bevölkerung nirgendwohin fliehen kann? Damit ist auch die Behauptung, die Hamas missbrauche die Zivilisten als Schutzschilde, hinfällig. Sie sind einfach da, mittendrin! Und während die israelische Regierung halb Gaza wegen des Todes der drei jugendlichen Israelis in Schutt und Asche legt, sind die rechtsradikalen Israelis, die den 15-jährigen Palästinenser bei lebendigen Leibe verbrannt haben, wenige Tage später aus der Haft entlassen und lediglich unter Hausarrest gestellt worden.

Hamas wird nur gestärkt

Das von Israel reklamierte Recht auf Selbstverteidigung ist angesichts der eklatanten Unverhältnismäßigkeit sowohl unter den Opfern als auch beim Einsatz militärischer Mittel unglaubwürdig. Die Hamas beruft sich ebenso auf das Recht, sich zu verteidigen, zumal Israel ja mit den Angriffen begonnen hat. Klar ist aber auch, dass die Hamas aus dem Konflikt mehr Legitimität und Solidarität in der palästinensischen Bevölkerung erfährt und gestärkt wird.

Der Zeitpunkt der Angriffe ist kein Zufall. Er kommt wenige Wochen nach der Versöhnung der zerstrittenen palästinensischen Parteien und der Bildung einer palästinensischen Einheitsregierung aus Technokraten (ohne personeller Beteiligung der Hamas). Mit diesem Schritt sind die Palästinenser dem Wunsch der internationalen Gemeinschaft nach größerer Repräsentativität nachgekommen, was offenbar Missfallen in Israel geweckt hat.

In der Vergangenheit hat Israel behauptet, dass Mahmoud Abbas ein schwacher Präsident sei, weil er nur für einen Teil der palästinensischen Bevölkerung sprechen könne und so kein verlässlicher Partner für Verhandlungen sei. Nun, nach der Bildung einer Technokratenregierung, kann erstmals wieder mit einer Stimme für alle Palästinenser aus dem Westjordanland und dem Gazastreifen gesprochen werden. Diese Stärkung der palästinensischen Verhandlungsposition scheint der rechtsgerichteten israelischen Regierung ein Dorn im Auge zu sein. Daher können die militärischen Angriffe auch als Versuch zur Torpedierung der Einheitsregierung verstanden werden. Der Tod dreier israelischer Jugendlichen wird in diesem Sinne von der Netanjahu-Regierung instrumentalisiert.

Österreichs Medien übernehmen die israelische Position, indem sie kritiklos wiedergeben, dass Israel nur einen Krieg gegen die Hamas führe und die Opfer nur darauf zurückzuführen seien, als die Hamas sie als Schutzschilde verwendete. So wird die Schuld am Tod der Menschen der Hamas zugeschoben.

Um dem Friedensprozess im Nahen Osten eine Chance zu geben, ist ausgewogene Berichterstattung notwendig, die Kritik an der israelischen Regierungspolitik zulässt. Es wäre an der Zeit, in diesem Sinne Stellung zu beziehen und mehr außenpolitisches Engagement an den Tag zu legen.


Raed Sabbah (*1975 im Gazastreifen) ist Mitglied der Palästinensisch-Österreichischen Gesellschaft.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.07.2014)

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