Sind Oppositionsparteien überhaupt regierungsfähig?

"Sommergespräche". FPÖ, TS, Neos und Grüne sprechen in Interviews gerade über ihre Perspektiven. Aber was wollen und können sie?

In Großbritannien gibt es so etwas wie eine institutionelle Opposition. Das ist ein Ausfluss des Zweiparteiensystems, das sich freilich auch dort in Auflösung befindet. Der Oppositionsführer genießt den Status des möglicherweise nächsten Regierungschefs und wird daher vom Monarchen als seiner beziehungsweise ihrer Majestät Oppositionsführer behandelt und angeredet.

Einen vergleichbaren Nimbus hat die Opposition bei uns nicht. In der Opposition zu sein ist in der Regel ein Langzeitzustand, wovon die Grünen ein Lied zu singen wissen. Man kann sich darin aber auch ganz gemütlich einrichten, vor allem was den Arbeitsaufwand betrifft, wofür ebenfalls die Grünen und auch die FPÖ Beispiele sind. Für die FPÖ und ihren Vorsitzenden ist Untätigkeit geradezu ein Erfolgsrezept geworden.

Wir haben momentan vier Oppositionsparteien. Bei den „Sommergesprächen“, die die wichtigen Zeitungen und der ORF mit den Chefs dieser Parteien führten, ging es meistens auch um die Perspektiven, die die jeweilige Partei für sich sieht, in die Regierung zu kommen.

Ob die FPÖ wirklich regieren will, weiß sie wahrscheinlich selbst nicht. Oder sagen wir es anders: Die FPÖ muss regieren wollen, das ist der letzte Zweck von Politik.

Die echten Freiheitlichen wollen aber eigentlich nicht regieren, weil sie keine innere Beziehung zum Staat haben. Der Staat – das sind die anderen. Das gilt auch und gerade für Leute, die der FPÖ in den Jahrzehnten seit der Haider-Revolution zugelaufen sind. Sie sind weniger von einer wütenden Protesthaltung bestimmt als vom Gefühl, nicht dazuzugehören. Das ist aber nicht die „Mitte der Gesellschaft“, in der Heinz-Christian Strache mit seiner Partei unterdessen angekommen sein will.

Strache trat bei den „Sommergesprächen“ zurückhaltend im Ton, aber großspurig im Anspruch auf. Nächstes Jahr wolle er Bürgermeister von Wien werden, erklärte er. Auch dass er sich zum Kanzler berufen fühlt, hat er wiederholt.

Strache hat dabei aber mehrere Probleme: Da ist zunächst die beschriebene Grundstimmung in seiner Partei und in ihrer Anhänger- und Wählerschaft. Sie wird noch durch die Erfahrungen in der schwarz-blauen Regierung bestärkt, die ein anhaltendes Trauma für die Partei sind. Nach nur zwei Jahren in der Regierung stürzte die Partei bei der Wahl 2002 von 26,9Prozent und dem zweiten Platz auf zehn Prozent ab.

Regieren und dabei zwangsläufig auch unbeliebte Entscheidungen treffen zu müssen ist nicht das, was der FPÖ-Wähler erwartet. Vor allem aber findet Strache keinen Koalitionspartner, erst recht dann nicht, wenn die FPÖ stärkste Partei wird. Sein gar nicht geheimer Lieblingspartner ist natürlich die SPÖ. Ihr steht die FPÖ in allen sozialen und ökonomischen Fragen ideologisch am nächsten.

Auch in den „Sommergesprächen“ wünschte sich Strache fast flehentlich eine „andere SPÖ-Führung“, die sich von der strikten Anti-FPÖ-Linie der „Ausgrenzung“ abwenden werde, die ihn persönlich verletzt und politisch ärgert. Grüne und Neos wollen mit der FPÖ ohnehin nichts zu tun haben. Für die Grünen ist das eine absolute Fahnenfrage.

Es ist paradox: Den einzigen Partner, der mit der FPÖ regieren würde, die ÖVP nämlich, will Strache nicht. Nach der Wahl im Herbst 2013 sandte Michael Spindelegger einen Emissär zu ihm. Dieser erhielt eine klare Absage: „Jetzt nicht und wenn überhaupt, dann nicht mit Ihnen“, soll ihm Strache übermittelt haben.

Ernüchternde Erfahrungen

Diese Abneigung hat ihre naheliegende Ursache in den ernüchternden Erfahrungen mit Schwarz-Blau, aber auch tiefere Gründe: Klassische „Nationale“ haben eine tiefe Aversion gegen die „Klerikalen“, für die sie die ÖVP halten.

Einer, der es kaum erwarten kann, ist Matthias Strolz. Er macht der ÖVP unverhohlene Avancen, löst bei der ÖVP-Führung aber nur Verärgerung aus, wenn er ständig von einem Bundeskanzler Sebastian Kurz schwärmt, unter dem er gern Bildungsminister wäre.

Auch einen Vizekanzler Kurz könne er sich vorstellen, wenn nach einer Serie von Niederlagen für die Regierungsparteien bei den Landtagswahlen im nächsten Jahr die Zeit von Faymann und Spindelegger abgelaufen sei. Auf jeden Fall möchte Strolz dabei sein, dafür wäre er in vermeintlichen Kernpositionen der Neos wohl auch „situationsflexibel“.

Kathrin Nachbaur, Klubobfrau und stellvertretende Vorsitzende des Team Stronach, ist ebenfalls in Interviews aufgetreten. Sie hat dabei nicht den Eindruck vermittelt, dass sie mit allen Fasern an der Politik hängt. Die Bemerkung, dass sie sich manchmal frage, „warum ich mir das überhaupt antue“, ist verräterisch. Sie weiß, dass ihre Partei die nächste Nationalratswahl nur überleben wird, wenn sie vorher eine klare Trennung von ihrem Gründer und Obmann vollzieht und „selbst laufen lernt“. Nachbaur kann nicht weiter so tun, als werde sie von einem „guten Menschen, der aber kein Politiker ist“, in Übersee gesteuert.

Vom Dilemma, in dem sie steckt, erfuhr man nach dem „Sommergespräch“ im ORF: Sie ist Geschäftsführerin der österreichischen Stronach-Firma in Oberwaltersdorf, also weiter beruflich an Stronach gebunden. Warum sollte sie eine sichere Position in einem weltweit tätigen Unternehmen gegen eine höchst unsichere Zukunft in der österreichischen Politik tauschen?

Kommt grüne Westachse?

Außerdem würde die Trennung von Stronach die Frage der finanziellen Bindungen der Partei an den Gründer, Gönner und Financier akut werden lassen. Es spricht also wenig dafür, dass es das TS über 2018 hinaus geben wird.

Eva Glawischnig, Chefin der Grünen, ist bereits zu erfahren, um ihre Vorhersage zu glauben, im nächsten Jahr werde es zu Neuwahlen kommen. Sie weiß, dass die Regierung nach einer Serie von Niederlagen nicht zerfallen, sondern erst recht zusammenhalten wird. Die Grünen möchten zunächst ihre Westachse komplettieren: Nach den Landtagswahlen am 21.September in Vorarlberg sollen sie auch dort in die Landesregierung kommen, wie schon in Oberösterreich, Salzburg und Tirol.

Das wird aber nicht ganz leicht sein, denn warum sollte die ÖVP, wenn sie ihre absolute Mehrheit verliert, nicht wie bisher mit den Freiheitlichen regieren? Sicher wären die Grünen ein pflegeleichter und berechenbarer Partner, wenn sie einige ihrer ideologischen Schrebergärten beackern dürfen.

Rot-Grün ist ausgeträumt

Koalitionen mit der ÖVP sind Glawischnig und den Grünen überhaupt nur in den Ländern und außerhalb Wiens erlaubt. Im Bund verhindern das die Linksideologen aus Wien. Glawischnig wird den Spätherbst 2002 nicht vergessen haben, als nach sehr ersprießlichen Verhandlungen mit der ÖVP eine Koalition von der grünen „Basis“ abgelehnt wurde.

Vielleicht rühren ihre Skepsis gegenüber Regierungshoffnungen und der irgendwie resignative Zug, der ihr eigen ist, von daher. Damals wurde eine Chance vertan, die so nicht wiederkommen wird. Jede Regierung mit den Grünen kann heute nur noch eine (mindestens) Dreierkoalition sein. Das erträumte Rot-Grün wird es nicht geben.

DER AUTOR

Hans Winkler war langjähriger
Leiter der Wiener Redaktion der
„Kleinen Zeitung“.

Debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.08.2014)

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